indirekt der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften, denn durch die von ihr angeregte Katalogisierung der deutschen Handschriften ist der Volkskunde – wie an den von Dr. Klapper in Breslau gemachten Entdeckungen gezeigt wurde – reicher Stoff zugeführt worden: besonders in den Predigthandschriften des späten Mittelalters ist vieles Wissenswerte zur Erforschung des Volksglaubens in der Sagen- und Märchenliteratur enthalten. Durch geeignete Beispiele beleuchtete der Vortragende dann die Methodik der einzelnen Forschungsgebiete und warnte vor Leichtgläubigkeit und ungenügender Nachprüfung des mündlich gesammelten Stoffs; er forderte strenge Organisation der Sammeltätigkeit, wodurch wirklich brauchbares Neue von schon Bekanntem und stets Wiederholtem gesondert werde. Hierzu aber seien Mittel nötig, und auch in anderer Hinsicht sei die Unterstützung durch die Regierung der Einzelstaaten und des Reiches unerläßlich; um stetige Wiederholungen des schon Aufgezeichneten zu vermeiden, sei es wünschenswert, daß die guten und weite Kreise interessierenden Veröffentlichungen der Sagen, Sitten und Bräuche, Märchen, Lieder für Schulen und Bibliotheken allgemein zur Verfügung gestellt würden, und dadurch würde auch überall Liebe zur Sache geweckt werden. So dankenswert es sei, daß für Beschaffung greifbarer Gegenstände und Abbildungen – vom prähistorischen Steinbeil bis zur modernen Flinte – den Museen und Schulen fast ungezählte Mittel zuflössen, so sei es doch bedauerlich, daß die rein geistigen Äußerungen des Kulturlebens so ganz zu kurz kämen, daß nicht den Bibliotheken, den Lehrern und Schülern ebenso reich die Quellen rein geistigen Lebens flössen, die der Phantasie und der Heimatliebe fruchtbaren Boden schaffen.
Der Vortragende gab dann als Beispiel wissenschaftlicher Darstellung eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Sitten und Bräuche bei der Verlobung und Hochzeit und zeigte, wie aus diesen unter Hinzuziehung älterer Quellen ein Bild der germanischen Einrichtung und Feier des Brautlaufes und der Heimführung gewonnen werden kann.
Alsdann sprach der Redner mit kurzem Worte über die Erforschung von Haus- und Kirchenbau, Dorf- und Stadtanlage und Volkstracht. In wissenschaftlicher Beziehung könne auf diesem letzteren Gebiete wohl mehr geschehen als in praktischer Hinsicht zum Schutze der Volkstrachten, denn von jeher sei das Landvolk der städtischen Mode gefolgt, und das werde sich auch in Zukunft nicht ändern lassen. Eine andere Frage sei es, ob nicht unsere höheren Kreise einmal die Kraft in sich fühlen würden, einen deutschnationalen Willen in ihrer Kleidung auf irgendeine Weise zu betätigen, anstatt sich die Formen ihrer Gewänder von Pariser Kokotten oder englischen Dandies vorschreiben zu lassen.
Zum Schluß wies der Redner auf die hohe Bedeutung der Mundartenpflege und -forschung sowie auf den historischen Wert der Volkskunde hin; auch betonte er die wichtigen sozialen Aufgaben, die fast alle Berufe aufs engste mit der Volkskunde verknüpften: dem Gesetzgeber und Juristen sei es nötig, mit dem Rechtsempfinden des Volkes näher vertraut zu sein; der Arzt würde der heillosen Kurpfuscherei am besten dadurch begegnen, daß er Verständnis für Empfinden und Überlieferungen des Volkes gewinne; der Geistliche werde unsinnigem Aberglauben wirkungsvoller entgegentreten usw.
So hob der Redner den wissenschaftlichen, ästhetischen, sozialen und nationalen Wert der Volkskunde hervor und forderte zu gemeinsamer Arbeit an ihrer Hebung auf.
Oskar Dähnhardt (Red.): Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde Nr. 8. Richard Hahn (H. Otto), Leipzig 1908, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mitteilungen_des_Verbandes_deutscher_Vereine_f%C3%BCr_Volkskunde_8.djvu/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)