Deutschböhmen angesiedelt sind, sondern jenseits der Landesgrenzen, also in Nieder- und Oberösterreich, sowie jenseits der Reichsgrenze in Baiern, Sachsen und Schlesien. Neben der baierisch-österreichischen Mundart im südwestlichen Böhmen mußten noch berücksichtigt werden die oberpfälzische oder nordgauische Mundart in Westböhmen (Egerland und Umkreis), die obersächsische oder sogenannte „nordböhmische“ Mundart im westlichen und mittleren Teile Nordböhmens (Erzgebirge und dem Vorlande bis zur Elbe) und endlich die schlesische Mundart im östlichen Böhmen. Dieser Abschnitt bringt in unserer Fassung eine genau durchgeführte Anleitung zur Schreibung der Laute. Da die geplante Liederausgabe für weitere Schichten berechnet ist, konnte die Schreibung nicht streng phonetisch sein; doch ist sie so gehalten, daß die verschiedenen Färbungen der mundartlichen Aussprache aus den verschiedenen Gebieten Böhmens entsprechend wiedergegeben werden.
Wie überall industriereiche, im lebhaften Verkehr liegende Gegenden arm an Volksliedern sind, so ist auch in Nordböhmen, in den großen Kohlengebieten von Dux, Brüx, Teplitz und östlich der Elbe, in den an Fabriksunternehmen so reichen Gegenden, wo auch aus Mangel heimischer Arbeitskräfte Massen von tschechischen Arbeitern eingeschleppt werden, der lebendige Liederquell vollständig versiegt. Aus diesen Gebieten haben wir so gut wie nichts eingeheimst. Eine erfreuliche Fülle von Liedern aber spenden noch Gegenden, wo die Feldwirtschaft die Leute ernährt; erstaunlich reich sind die Waldgebiete. So haben wir gleich als erste Ausbeute, Anfang 1907, unserem tüchtigsten Sammler Gustav Jungbauer, aus allen Teilen des Böhmerwaldes 500 erzählende Lieder, darunter 200 mundartliche und 200 Singweisen, ferner – alles in der Mundart – 800 Vierzeiler, 300 Kinderreime, Lieder zu bestimmten Bräuchen, 40 Tänze, 400 Reimsprüche, außerdem 9 handschriftliche Liederbücher und 16 handschriftliche Volksschauspiele zu verdanken. Jungbauer war auch im verflossenen Sommer in der von Niederösterreich herreinragenden Sprachzunge Neubistritz und hat im Dorfe Artholz an einem Nachmittag mehr zustande gebracht, als andere Sammler in Monaten. Nicht so reichhaltige, aber doch erfreuliche Sammelergebnisse sind aus dem Erzgebirge und aus Westböhmen eingelaufen, so aus der Umgebung von Schmiedeberg unter anderen 40 schriftdeutsche und 47 mundartliche erzählende Lieder, ein Weihnachts-, ein Dreikönigs-, ein Sommer- und Winterspiel und zahlreiche Singweisen, aus dem Bezirke Mies unter anderem 20 schriftdeutsche Volksballaden, 5 längere mundartliche Lieder und mehrere Tanzlieder mit wechselndem Rhythmus. Das sind nur Beispiele.
Die Art und Durchführung der Sammeltätigkeit weicht zum Teil bei uns auch von der in den übrigen Kronländern ab. Bei den anderen Ausschüssen sammeln Leiter und Mitglieder selbst. Pommer ist in einer besonders glücklichen Lage, weil er seine heimische steierische Mundart völlig beherrscht und in ausgezeichneter Weise auch die schwierigsten Melodien, so mehrstimmige Jodler, nach dem Gehör aufzeichnen kann. Er steigt in die Berge, lauscht in den Alpenhütten dem Gesang der Senner und Sennerinnen, trinkt, singt und plaudert in den Dorfwirtsstuben mit Holzknechten, Jägern, Bauerndirnen und Burschen und macht da große Ausbeute. In seiner, jedem Sammler sehr empfehlenswerten frisch geschriebenen Schrift: „Über das älplerische Volkslied und wie man es findet“ (2. Auflage, Wien 1908) gibt er aus seinen vieljährigen Erfahrungen lehrreiche Beispiele, wie man das Mißtrauen und
Oskar Dähnhardt (Red.): Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde Nr. 8. Richard Hahn (H. Otto), Leipzig 1908, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mitteilungen_des_Verbandes_deutscher_Vereine_f%C3%BCr_Volkskunde_8.djvu/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)