verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 7 | |
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und dem gebildeten Teil der Bevölkerung immer entschiedener gefordert wurde. Dieser Zwiespalt gab dem Parteiwesen neue Nahrung. Endlich kam es 15. Sept. 1843 in Athen unter Beteiligung der von Kalergis und Makryjannis geleiteten Truppen zu einer Erhebung der Konstitutionellen; man verlangte vom König eine Repräsentativverfassung, die derselbe auch ohne Zögern bewilligte; eine Nationalversammlung sollte dieselbe beraten und feststellen. Die Wahlen zu derselben fanden unter heftigen Parteikämpfen statt. Am 20. Nov. 1843 trat die Versammlung zusammen, 2. März 1844 vollendete sie die neue Verfassung, nach der die Krone die vollziehende Gewalt behielt, bei der Gesetzgebung aber an die Zustimmung zweier Kammern, der Senatoren und der Deputierten, gebunden wurde; die Mitglieder des Senats sollten von dem König auf zehn Jahre, die Deputierten auf drei Jahre vom Volk gewählt werden. Aber das von der Einmischung des Auslandes genährte Parteiwesen, der unruhige Charakter des Volkes ließen eine geregelte Entwickelung des politischen Lebens, eine Gewöhnung an die neuen Formen nicht zu. In den Kammern hatten die Parteiintrigen erst recht freies Spiel: Ministerwechsel, Kammerauflösungen, Klagen über Bestechlichkeit bei den Wahlen, über unverdiente Bevorzugung oder Zurücksetzung bei Erteilung von Ämtern waren an der Tagesordnung und zogen die Nation von wirklicher fruchtbringender Thätigkeit sowohl im öffentlichen als im Privatleben ab. Der König besaß nicht die Kraft, seinen Willen den Parteiführern gegenüber zur Geltung zu bringen; er wurde vielmehr von ihnen immer abhängiger, und sein Ansehen schwand daher von Tag zu Tag. Auch eine Dynastie zu begründen, gelang nicht. Die Ehe des Königs blieb kinderlos. Ein Protokoll der Schutzmächte 20. Nov. 1852 hatte festgestellt, was übrigens auch die Verfassung von 1844 verlangte, daß der Thronfolger sich zur griechischen Kirche bekennen müsse; da die Adoption eines bayrischen Prinzen nicht erfolgte, so erwartete man allgemein, daß das Königreich eine Sekundogenitur des russischen Kaiserhauses werden würde. Dies förderte den russischen Einfluß und entfremdete die Westmächte. Von diesen war England schon seit längerer Zeit durch die fortdauernde Aufreizung der griechischen Bevölkerung des türkischen Reichs und die Erweckung von panhellenischer Unzufriedenheit auf den Ionischen Inseln gereizt, und als die Griechen weder ihren finanziellen Verbindlichkeiten gegen englische Häuser aus der Zeit des Freiheitskriegs nachkommen, noch Vermögensbeschädigungen englischer Unterthanen, namentlich eines Juden, Pacifico, der für seinen Verlust bei einem Pöbelauflauf 1847: 800,000 Drachmen liquidierte, vergüten wollten, schaffte es sich in ungroßmütiger Weise selbst Recht. Am 11. Jan. 1850 erschien die englische Mittelmeerflotte unter Admiral Parker vor dem Piräeus und schritt auf erneute Weigerung des griechischen Ministeriums zu Zwangsmaßregeln: Blockade u. Wegnahme griechischer Schiffe, deren 200 bei Salamis zusammengebracht wurden. Die Griechen spielten die Rolle der gekränkten Unschuld, Rußland unterstützte ihre Klagen über Vergewaltigung, Frankreich bot seine Vermittelung an. Lord Palmerston gab aber nicht eher nach, als bis die übrigens ermäßigte Forderung bezahlt war.
Während des Krimkriegs regten sich natürlich wieder die panhellenischen Ideen. Die Aufstandsversuche in den benachbarten türkischen Provinzen, welche allerdings schnell unterdrückt wurden, und die Aufreizungen russischer Agenten regten das griechische Nationalgefühl so auf, daß es zu stürmischen Kundgebungen kam, vor denen die türkische Gesandtschaft Athen räumte. Die Hauptparteiführer trugen sich bereits mit dem Gedanken an eine Erneuerung des byzantinischen Reichs. Indes die Westmächte machten dem schnell ein Ende; ihre Flotte erschien im Piräeus, und 26. Mai 1854 landete eine französische Brigade, stellte die Ruhe her und verhinderte die Griechen an weitern Feindseligkeiten gegen die Türkei. Der Friede war dem Land nützlich. Ein Bericht des Finanzministers Kumunduros an König Otto vom 16. Dez. 1857 stellte fest, daß die Bevölkerung seit 1834 von 612,000 auf 1,004,000 Einw., die Zahl der Wohnhäuser von 94,000 auf 203,000, die der Maulbeerbäume von 380,000 auf 1,500,000 gestiegen sei, der Grundzins von 4 Mill. Drachmen sich auf 8 Mill. gehoben habe. Indes diese zwar höchst bedeutenden, aber nicht ins Auge fallenden Erfolge befriedigten das Volk nicht, dessen Ehrgeiz durch die Erinnerung an die einstige Größe der Hellenen, an die zahlreichen Stammesgenossen in Thessalien, Makedonien und Kleinasien in der Presse und auf der Rednertribüne immer von neuem aufgestachelt wurde. Das hellenische Volk gewöhnte sich daran, sich als den allein berechtigten Erben nicht bloß der alten Hellenen, sondern auch des griechischen Kaiserreichs anzusehen und jede Verzögerung der Befreiung der Griechen in der Türkei als ein schweres Unrecht gegen G., jede Einmischung einer fremden Macht auf der Balkanhalbinsel als einen Eingriff in seine geheiligten Rechte anzusehen.
Das Mißlingen aller Vergrößerungspläne gab man dem König schuld, der durch seinen Mangel an militärischen Gaben und ehrgeizigem Unternehmungssinn seine Popularität ganz verloren hatte. Als bei Eröffnung der Kammern 1860 im November ein ministerieller Deputierter ein Hoch auf den König ausbrachte, wurde es mit dem Ruf: „Es lebe die Verfassung“ beantwortet. Im Juni 1861 wurde eine Militärverschwörung entdeckt; 18. Sept. machte ein Student in Athen, Aristeides Drosios, einen Mordanfall auf die Königin Amalie, welcher mißlang. Er wurde zum Tod verurteilt, aber zu lebenslänglichem Gefängnis begnadigt (Januar 1862). Die Sympathien, welche er während seines Prozesses fand, waren schon ein bedenkliches Zeichen. Am 13. Febr. 1862 brach darauf in Nauplia eine von Kanaris angestiftete Militärrevolte aus; eine von dieser eingesetzte Regierungskommission bezeichnete die herrschende Regierung als ein System der Depravation und Sklaverei und verlangte Einberufung einer Nationalversammlung zur Herstellung eines bessern. Dieser Aufstand wurde unterdrückt und 20. April Nauplia von den königlichen Truppen besetzt. Aber es gelang dem König nicht, durch Straferlasse und neue Gesetzvorschläge das Volk zu beschwichtigen und die Gärung zu beendigen. Während der König auf einer Reise im Peloponnes, welche er 13. Okt. in Begleitung seiner Gemahlin antrat, um die Anhänglichkeit des Volkes an ihn zu beleben, in Hydra, Spezzia, Sparta und Kalamata gut aufgenommen wurde, brach der Aufstand in Vonizza, wo Theodor Grivas sich an die Spitze stellte, in Patras und andern Orten von neuem und mit verstärkter Heftigkeit aus; am 22. Okt. auch in Athen, wo Bulgaris, Kanaris und Rufos zu einer provisorischen Regierung zusammentraten, welche kraft „einstimmigen Beschlusses der griechischen Nation“ die Entsetzung des Königs Otto und die Berufung einer Nationalversammlung aussprach; diese solle einen neuen Souverän wählen. Otto erschien 23. Okt. im Piräeus, faßte aber nach
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 7. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b7_s0715.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2023)