verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19 | |
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Isolierung eines wohlcharakterisierten Kohlehydrates ist auch hier lange Zeit nicht gelungen.
Die Aufklärung dieser Verhältnisse ist der Anwendung der von E. Fischer entdeckten Phenylhydrazinreaktion zu verdanken. Phenylhydrazin C6H5NH·NH2 vereinigt sich mit den Glykosen zu schwerlöslichen Verbindungen, indem 1 Molekül der Glykose unter Austritt von 2 Molekülen Wasser mit 2 Molekülen Phenylhydrazin zusammentritt unter gleichzeitiger Aboxydation zweier Wasseratome. Die beiden Wasserstoffatome werden bei der Glykose
dem mit einem Stern bezeichneten, der Aldehydgruppe benachbarten Kohlenstoffatom, bei der Fruktose
dem mit einem Stern bezeichneten, der Ketongruppe benachbarten Kohlenstoffatom entzogen; es entsteht also aus Glykose und Fruktose dasselbe Zwischenprodukt (Oson) CH2(OH)·(CH[OH])3·CO·COH, in welchem sich dann die Sauerstoffatome der beiden CO-Gruppen mit 2 Wasserstoffatomen je eines Moleküls Phenylhydrazin zu Wasser verbinden, während an ihre Stelle je ein Rest des Phenylhydrazins C6H5NH·N= eintritt. Aus Glykose und Fruktose bildet sich so das gleiche Osazon
sonst haben die Osazone verschiedener Glykosen verschiedene Schmelzpunkt- und Löslichkeitsverhältnisse und können somit bei ihrer Schwerlöslichkeit dazu dienen, die Glykosen aus Gemengen abzuscheiden und zu charakterisieren. Durch Säuren werden die Osazone in Phenylhydrazin und ein Oson gespalten, das durch Wiederzuführen der beiden zuvor abgespaltenen Wasserstoffatome in eine Glykose zurückverwandelt wird. Diese Rückverwandlung kann auch so bewirkt werden, daß das Osazon, z. B. Glykosazon, zuerst durch Reduktionsmittel in eine Base
(Isoglykosamin) verwandelt wird, aus welcher Säuren Ammoniak abspalten. In beiden Fällen entsteht aus den identischen Osazonen der Glykose und Fruktose nur die letztere Verbindung. Auf diesem Wege, durch das Osazon wird Glykose in Fruktose umgewandelt und lassen sich allgemein Aldehydzucker in die zugehörigen Ketonzucker umwandeln.
Bei der Behandlung des Methylennitans (Formose) wie des aus Akroleïnbromid oder Glycerose entstandenen Kondensationsproduktes mit Phenylhydrazin bildet sich nun, wie E. Fischer fand, neben vielen andern Produkten regelmäßig ein Osazon C6H10O4(N2HC6H5)2, α-Akrosazon, das dem Glykosazon sehr ähnlich ist und in der That das optisch inaktive Glykosazon (bez. Fruktosazon) darstellt. In die zugehörige Glykose umgewandelt, liefert das α-Akrosazon einen süßen Sirup (α-Akrose), der sich als inaktive Fruktose erwies. Zur Durchführung des synthetischen Aufbaues der Fruktose aus dem Formaldehyd, Akroleïnbromid oder Glycerin bedurfte es demnach nur noch der Spaltung der synthetischen inaktiven Fruktose in die beiden optisch aktiven Isomeren, deren eine die gewöhnliche Fruktose sein mußte. Die direkte Spaltung durch Gärung führt bei der α-Akrose nicht zu der bekannten, sondern zu der hierbei zuerst aufgefundenen optisch isomeren Fruktose, da die Hefe gerade den gesuchten Teil der inaktiven Substanz verbraucht, der leichter vergärbar ist. Dagegen führte der folgende Weg zum Ziele. α-Akrose liefert bei der Reduktion mit Natriumamalgam den zugehörigen Alkohol C6H14O6, α-Akrit, und dieser ist die inaktive Form des Mannits, dessen bekanntes aktives Isomeres ganz entsprechend auch durch Reduktion der gewöhnlichen Fruktose erhalten werden kann. Wird der gewöhnliche Mannit mit verdünnter Salpetersäure oxydiert, so entsteht neben Fruktose Mannose, die auch aus vegetabilischen Produkten gewonnen ist; der α-Akrit liefert demgemäß inaktive Mannose. Diese kann, wie Glykose in Glykonsäure, durch Oxydation mit Bromin in die inaktive, einbasische Mannonsäure CH2(OH)·(CH[OH])4·COOH verwandelt werden, und inaktive Mannonsäure läßt sich nach dem Pasteurschen Verfahren durch Kristallisation des Strychnin- oder Morphinsalzes in die beiden optisch aktiven Isomeren spalten, deren eins mit der bekannten Mannonsäure identisch sein muß. Nach der Überführung des α-Akrits in die von der natürlichen Mannose sich ableitende Mannonsäure bedarf es zur völligen Synthese der Mannose nur der Rückverwandlung der Mannonsäure in diese Glykose; diese Rückverwandlung gelingt gut durch Reduktion der durch Erhitzen teilweise in das Lakton verwandelten Mannonsäure mittels Natriumamalgam in saurer Lösung.
Die Spaltung der inaktiven Mannonsäure in die optisch aktiven Isomeren eröffnet ferner den Weg zur Synthese des Traubenzuckers. Die Mannonsäure läßt sich durch Erhitzen mit Chinolin auf 140° zum Teil in Glykonsäure verwandeln und umgekehrt, ebenso wie beim Erhitzen von Traubensäure oder Mesoweinsäure ein teilweiser Übergang des einen in das andre Stereoisomere stattfindet. Aus der gewöhnlichen aktiven Mannonsäure, die Mannose liefert, entsteht beim Erhitzen die der Glykose entsprechende Glykonsäure, und diese läßt sich auf demselben Wege in Traubenzucker verwandeln, wie aus Mannonsäure Mannose sich bildet. Damit ist die Synthese des Traubenzuckers, zugleich aber auch die Synthese der Fruktose durchgeführt, da dieselbe, wie oben beschrieben, aus dem Glykosazon gewonnen werden kann, und ebenso aus dem Osazon der Mannose, das mit Glykosazon identisch ist.
Die neuern Methoden, die zu den angegebenen Synthesen geführt haben, sind von sehr allgemeiner Verwendbarkeit und gestatten die künstliche Gewinnung einer großen Zahl neuer Glieder der Kohlehydratgruppe wie die Klarstellung des Zusammenhanges unter denselben. Eine ungemein umfassende synthetische Methode gründet sich auf die oben angegebene Reduktion der Laktone der einbasischen Oxysäuren zu Glykosen. Solche einbasische Säuren mit einem um ein Atom erhöhten Kohlenstossgehalt entstehen aus den Glykosen, z. B. aus Glykose, durch Addition von Blausäure und nachfolgende Verseifung des Nitrits entsprechend den Gleichungen
= CH2(OH)·(CH[OH])4CH(OH)CN
= CH2(OH)·(CH[OH])4·CH(OH)·COOH + NH3.
Die gebildete Säure gibt bei der Reduktion auch eine Glykose von um ein Atom höherm Kohlenstoffgehalt als die Ausgangssubstanz; diese neugebildete Glykose kann wieder mit Blausäure behandelt, das entstandene Nitril verseift und das Lakton der Säure zu einer neuen Glykose von noch höherm Kohlenstoffgehalt reduziert werden u. s. f. Auf diesem Wege sind von E. Fischer die Glykosen mit 7, 8 und 9 Atomen Kohlenstoff gewonnen worden. Bemerkenswert ist die Beobachtung, daß nur die Glykosen der C3-, C6- und C9-Reihe, nicht aber die andern gärungsfähig sind.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19. Bibliographisches Institut, Leipzig 1892, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b19_s0545.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2024)