verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12 | |
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auch den erzählenden Dichtungen ohne ungarischen Hintergrund zu gute, welche neben zahlreichen lyrischen Gedichten in der ersten Zeit nach der Rückkehr aus Amerika entstanden. Das Jahrzehnt zwischen 1833–43 verbrachte der Dichter abwechselnd in Wien und in Schwaben. Seine erste größere Dichtung: „Faust“ (Stuttg. 1836; für die Bühne eingerichtet von Gramming, Münch. 1869), weder eine eigentlich epische noch eine dramatische Dichtung, sondern eine Reihe zum Teil farbenprächtiger Lebensbilder, durch welche eine skeptische, unselig mit Gott und Welt zerfallene Natur hindurchgeht, vermehrte den Ruf, dessen sich der Dichter bereits erfreute. In ihm selbst aber nagte, trotz allen poetischen Gelingens, eine schmerzliche Unbefriedigung, die auch in der wachsenden Schwermut seiner Dichtungen zu Tage trat. Vielfache Herzenserlebnisse, Erschütterungen und Enttäuschungen, die Rastlosigkeit eines beständigen Reiselebens und der nie ruhende Widerspruch seiner persönlichen Neigungen und seiner Geistesziele steigerten die nervöse Reizbarkeit des Dichters Schritt für Schritt. Außer den „Neuern Gedichten“ (Stuttg. 1838, 2. vermehrte Auflage 1840) erschienen die größern Dichtungen: „Savonarola“ (das. 1837, 5. Aufl. 1866) und „Die Albigenser“ (das. 1842, 4. Aufl. 1873), welche beide alle Vorzüge des Lenauschen Talents: die Tiefe der Empfindung, die Glut und Farbenpracht der Schilderung, den Schwung echter Begeisterung, in einer Reihe glänzender Situationen und Bilder aufweisen, aber beide mehr geniale Fragmente als geschlossene Kunstwerke sind. Im „Savonarola“ hielt Lenau wenigstens noch die einheitliche Form fest, in den „freien Gesängen“ der „Albigenser“ verzichtete er auch auf diese und erzielte darum nur fragmentarische Eindrücke. Sein letztbegonnenes Gedicht: „Don Juan“ (im „Nachlaß“ erschienen), schloß sich in der Kompositionsweise völlig dem „Faust“ an. Die Vollendung desselben war Lenau leider nicht beschieden. Im Sommer 1844 überraschte der Dichter seine Freunde durch die Nachricht von seiner glücklichen Verlobung; wenige Monate später aber ward er im Hause seines Freundes, des Hofrats Reinbeck in Stuttgart, vom Wahnsinn ergriffen. Seine Geisteskrankheit erwies sich als völlig unheilbar; Lenau ward daher nach der Irrenanstalt Oberdöbling bei Wien gebracht, wo ihn erst 22. Aug. 1850 der Tod von seinen Leiden erlöste. Seine „Gedichte“ (Vereinigung der beiden obigen Sammlungen) sind seitdem in zahlreichen Auflagen erschienen; sonst ist von seinen Publikationen noch der „Frühlingsalmanach“ (Stuttg. 1835–36, 2 Jahrg.) zu erwähnen. Seinen dichterischen „Nachlaß“ (Stuttg. 1851) und seine „Sämtlichen Werke“ (das. 1855, 4 Bde.; illustrierte Ausg. 1881, 2 Bde.) gab Anastasius Grün, dem Dichter im Leben eng befreundet, heraus. Von den neuern Ausgaben sind die vom Bibliographischen Institut in Leipzig veranstaltete (mit Anmerkungen etc., 1882, 2 Bde.) und die Hempelsche (Berl. 1883, 2 Bde.) zu nennen. Vgl. Schurz, Lenaus Leben, großenteils aus des Dichters eignen Briefen (Stuttg. 1855, 2 Bde.); E. Niendorf, Lenau in Schwaben (Leipz. 1853); K. Mayer, Lenaus Briefe an einen Freund (Stuttg. 1853); Frankl, Zu Lenaus Biographie (2. Aufl., Wien 1885); Auerbach, Nik. L., Vortrag (das. 1871).
Niemcewicz (spr. njemzéwitsch), Julian Ursin, poln. Gelehrter, Dichter und Staatsmann, geb. 1757 auf dem Landgut Skoki in Litauen, erhielt seine Bildung in der Kadettenanstalt zu Warschau, ward 1777 Adjutant des Fürsten Czartoryiski und verbrachte später mehrere Jahre in Frankreich, England und Italien. Bei dem Aufstand 1794 trat er von neuem in die Armee und geriet bei Maciejowice mit Kosciuszko, dessen Adjutant er war, in Gefangenschaft. Aus dieser vom Kaiser Paul I. entlassen (1796), begab er sich, seinen Weg über Schweden und England nehmend, nach Amerika, wo er zehn Jahre verweilte. Nach dem Wiener Kongreß wurde er in dem neuen Königreich Polen als Staatssekretär und Präsident des Konstitutionskomitees angestellt und 1828 zum Präsidenten der „Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften“ ernannt. Doch die Ereignisse der Jahre 1830 und 1831 trieben ihn von neuem ins Ausland. Er ging zunächst nach London, dann nach Paris, wo er 21. Mai 1841 starb. Von seinen Schriften (Leipz. 1840, 12 Bde.) sind hervorzuheben: „Historische Gesänge der Polen“ (Warsch. 1816 u. öfter; deutsch von Gaudy, Leipz. 1833); „Die Heimkehr des Landboten“, Drama (Warsch. 1790); „Geschichte der Regierung König Siegmunds III. von Polen“ (das. 1819, 3 Bde.; neue Aufl., Bresl. 1836); „Sammlung von Memoiren zur alten polnischen Geschichte“ (Warsch. 1822, 5 Bde.; neue Aufl., Leipz. 1840); „Levi und Sara“; eine Schilderung der Zustände der polnischen Juden (deutsch, Berl. 1825); endlich „Johann von Tenczyn“, historischer Roman (Warsch. 1825, 3 Bde.; deutsch, Berl. 1828; 2. Aufl. 1834). Aus seinem litterarischen Nachlaß wurden seine „Memoiren“ (Par. 1840) und die „Notes sur ma captivité à St-Pétersbourg“ (das. 1843) veröffentlicht. Sein Leben beschrieb Fürst Adam Czartoryiski (Par. 1860).
Niemeck (Niemegk), Stadt im preuß. Regierungsbezirk Potsdam, Kreis Zauch-Belzig, hat Leinweberei und (1885) 2303 evang. Einwohner. N., schon 1161 als Burgwarte erwähnt, ist seit 1298 Stadt und gehörte bis 1815 zu Kursachsen. In der Nähe Fundort vorhistorischer Altertümer und römischer Münzen.
Niemen (spr. njǟmen), einer der bedeutendern Flüsse des westlichen Rußland und der bedeutendste Ostpreußens, entspringt im Wald von Kopislow, südlich von Minsk, und wird bei Bielica für kleinere, bei Grodno für größere Fahrzeuge schiffbar. Von Grodno an bildet er die Grenze zwischen Rußland und Polen, tritt als Memel mit einer Breite von 300 m bei Schmalleningken in das preußische Gebiet und teilt sich 8 km unterhalb Tilsit bei Kallwen in zwei Arme, die Ruß und die Gilge, die sich beide vor der Mündung in das Kurische Haff wieder in je vier Arme spalten, von denen der Hauptarm der Ruß den Namen Atmat annimmt. Die Ufer des N. sind flach, oft sumpfig, namentlich in Rußland; in Preußen durchströmt der Fluß oberhalb Ragnit bei Eißeln eine schöne Hügellandschaft, unterhalb Tilsit aber mit seinen Armen die fruchtbare Tilsiter Niederung, die durch großartige Deiche gegen die Überschwemmungen des Flusses geschützt ist. Die Länge des N. beträgt 788 km (davon in Preußen 112 km), sein Stromgebiet 90,548 qkm (1644,5 QM.). Unter seinen Nebenflüssen sind die schiffbare Wilia in Rußland sowie die Jura und Szeszuppe (Scheschuppe) in Preußen zu nennen. Für die Schiffahrt ist der N. von Wichtigkeit, indem auf ihm namentlich große Holzmassen aus Rußland herunterkommen, die in Memel zum Export zubereitet werden; aber auch Getreide und andre Früchte werden auf ihm verschifft. Da jedoch das Kurische Haff für die Schiffahrt äußerst ungünstig ist, so hat man eine Kanalverbindung von der Atmat bis nahe an Memel (König Wilhelms-Kanal) ausgeführt, während schon seit längerer Zeit von der Gilge aus mit dem Pregelarm Deime eine Verbindung durch den Seckenburger Kanal und den
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s0166.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2021)