Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Ich mag die Alterthümelei nicht, die mit den Lappen alter Herrlichkeit affektirte Abgötterei treibt, von der das Herz nichts weiß; aber ich bewundere die Kraft und Tüchtigkeit, die in den alten Menschen lebte, und weide mich an den Denkmälern, die sie widerspiegeln. Odins Helden haben nichts mehr in unserer Zeit zu suchen. Ihr Geist weht nicht mehr durch die Gegenwart, ihre Burgen und Schlösser liegen gebrochen auf Skandinaviens Höhen, ihre heiligen Haine sind verödet, ein anderer Glaube ist in das Land gewandert, und was von ihren Institutionen noch als Schutt und Trümmer in der Gesellschaft vorhanden ist, ist nur eine hindernde Last, – keine Wohlthat; aber doch ruht das Auge voller Lust und Ehrfurcht auf den Gestalten großer Männer, die, wie die Schatten der Unterwelt, hehr und ernst durch die Nacht der Sage wandeln. In den Denkmälern, welche sie verherrlichen, erhalten sie gleichsam Bestand und Bleiben; durch sie reden sie zu der Nachwelt, durch sie sprechen sie noch zum Volke, wenn die Züge der mündlichen Ueberlieferung längst verwischt sind, oder die schriftliche Legende nur den Gelehrten noch angehört.
Denksteine zu setzen den Großen oder Guten ist eine alte Sitte und mit dem deutschen Volksthum ganz verwachsen. Im germanischen Norden, in Skandinavien, war das Markstein oder Bauta-Setzen für die gefallenen Helden sogar eine vorgeschriebene Pflicht. Die Ynglinga Saga citirt das Gesetz mit den Worten: „für Jeden, der sich hervorgethan durch eine große oder treffliche That, soll ein „Bauta“-Stein aufgerichtet werden zu seinem Gedächtniß.“
Solche Gedenksteine wurden, galten sie Kriegern, in den Schlachtfeldern aufgerichtet, wo sie gesiegt hatten; waren es Entdecker und Seefahrer, so standen sie an dem Ufer des Meers, an den Häfen oder Buchten, wo die Schiffer zu landen pflegten; galt es Weisen und Dichtern, an den Kreuzwegen, wo Wanderer ausruhten. Auch der fern von der Heimath Gestorbene wurde, war er dessen würdig, also im Vaterlande geehrt. Die Form dieser Denkmäler war dem einfachen, kunstlosen, aber hohen Sinn der alten Skandinavier angemessen. Sie bestanden durchgängig aus einem gewaltigen, obeliskenartig gestalteten Felsblock, der höher oder niedriger war, je nachdem die Meinung von den Verdiensten des Geehrten sich ausdrücken wollte. Runenschrift enthüllte dem Beschauer den Namen; sonst waren sie ohne Schmuck.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/151&oldid=- (Version vom 2.1.2025)