Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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bezeichnet. Das Fahrwasser nähert sich nun der Kentseite und der durch einen Kanal vom Lande geschiedenen Insel Grain; gegenüber, auf der Essexseite, liegt ein anderes Eiland, Conway; beide sind mit haushohem Schilfe bewachsen und mit unzähligen Wasservögeln belebt. Das Land ist noch immer flach, niedrig, sumpfig; nur im Flusse ist Menschenleben rührig, alle Augenblicke kommen Fahrzeuge segelnd vorbei, oder die Fischer legen ihre Netze an den öden Ufern aus. In der That sind die Sümpfe der Themse der Kultur ganz unzugänglich, und erst hinter denselben erheben sich Dörfer, Flecken und Städte. So geht es fort bis an Tilbury-Fort vorbei, eine alte Citadelle auf der Kentseite, berühmt durch den Sieg, welchen (1558) die heldenmüthige Elisabeth über des spanischen Philipp’s Armada hier erfocht. Der Sieg war zugleich der Sieg der bürgerlichen und religiösen Freiheit über Aberglauben und Sclaverei.
Schräg gegenüber, auf dem sich allmählich verschönernden Ufer, glänzt das freundliche Milton, ein aufblühender Kurort, und hinter einer reizenden, mit Landhäusern besetzten Landschaft ragen die Thürme von Gravesend, einer bedeutenden und schönen Stadt. Es ist das Sanssouci vieler Londoner, zumal Rheder, Schiffer und Schiffsmakler, welche sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen haben, oder die den Sommer hier verleben. Gravesend ist deshalb in ununterbrochener, ja stündlicher Verbindung mit London durch eine Menge Dampfboote, die hin und hergehen. An dem hiesigen Zollhause müssen auch alle Schiffe von und nach London klariren, und die ankommenden empfangen einen Zollbeamten am Bord zur Verhütung des Schmuggels, der demungeachtet an keinem Orte Englands in größerem Maßstabe getrieben wird. – Fortan reihet sich Landhaus an Landhaus und Park an Garten: je näher der Hauptstadt, je mehr wird in den Anlagen und Gebäuden auch der Luxus sichtbar, und der Reichthum legt sich immer breiter und stolzer zur Schau. Die schönsten Punkte sind Northfleet, Greys-Thurrock, West-Thurrock und das reizende Belmont-Castle. Doch verflacht sich die Landschaft noch einmal, sobald man St. Clements-Reach erreicht hat; die Hügel sind verschwunden, die Bäume entfernen sich von den Ufern und das Schilf tritt an deren Stelle. Erst auf der Kentseite gewinnt die Landschaft neuen Reiz – Hügel mit Landhäusern besetzt treten wieder an den Strom, Dörfer und Flecken ziehen vorüber, und von einer Waldhöhe schaut Lord Say’s berühmte Besitzung, Belvedere, mit den glänzenden Augen seiner großen Spiegelfenster herab. Die Einförmigkeit des niedrigen linken Ufers dauert hingegen fort bis nach Woolwich, dem Arsenale, wo ganze Pyramiden von Kanonen, Geschützkugeln, Bomben etc. etc., die auf den Quayen liegen, schon von weitem erkennen lassen, daß hier der Kriegsgott seine Wohnung aufgeschlagen hat. Daneben sind die berühmten Dock-Yards, die Werfte für den Bau der größten britischen Kriegsschiffe, welche mit ihren Magazinen einen Raum von einer halben engl. Quadratmeile bedecken. Aus ihnen ist das Pochen und Hämmern von ein paar tausend Arbeitern weithin hörbar. Die Woolwicher Baracken für die Marine und Artillerie zeigen Fronten
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/123&oldid=- (Version vom 1.1.2025)