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Seite:Meyers Universum 9. Band 1842.djvu/111

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Gleichgültigkeit für öffentliche Werke trat an die Stelle der Theilnahme, und mit dem Erstarren der politischen und religiösen Formen erstarb auch der letzte Hauch der Begeisterung, der die Seckel von Arm und Reich über zwei volle Jahrhunderte lang zur Fortsetzung des Riesenwerks offen gehalten hatte. Da erschien der Tag, wo die Steinmetzen die letzte Löhnung faßten und Schicht war fortan am Münsterbau für immer. 1502 wurde der Thurm, erst zu zwei Drittheile fertig, eingedacht; was in der Kirche noch zu ergänzen war, blieb ebenfalls unvollendet, was aber spätere Zeiten hinzugethan, war nicht Zier, sondern Unzier und Verunstaltung. Den nachfolgenden Geschlechtern, die unter ganz veränderten Verhältnissen und ihren Einflüssen groß gezogen worden, fehlte das Verständniß, den Architekten mangelte die Einsicht in die bedeutungsvolle Tiefe des ursprünglichen Bauplans. Den alten Baumeistern war Alles Symbolik, die Formen waren ihnen nur die Träger des Gedankens; die neueren hingegen, da die Begeistigung verflogen, sahen blos starre, todte Bilder der Willkühr oder der humoresken Laune, und im Verhältniß, wie die innere Anschauung erblindete, bildete sich bei ihnen der Begriff der Berechtigung aus, andere willkührliche Formen an die Stelle der älteren zu setzen. Im Uebermuthe unkünstlerischen Selbstgefühls drängte, so hier wie anderwärts, die neuere Architektur gegen alle Schranken an, die ihre Nichtachtung des Alten hemmen wollten. Was dieser barbarische Umbildungstrieb anfing, das vollendete nachher wirkliche Zerstörungssucht. Mit Mäßigung hatten die Reformatoren im Beginn nur das Gerechteste begehrt; aber von der antagonistischen Gewalt auch ihrerseits zur Gewalt getrieben, konnte bald das Maß nirgends mehr gefunden werden, und plumpe Rohheit, wohl auch Habsucht, der nach den Kirchenschätzen gelüstete, mischte sich darein und fand ein weites Feld, ihren Leidenschaften zu fröhnen. Die Reformation war damals der weite Mantel, der gar vieles Schändliche verhüllte. Während der bilderstürmenden Epoche wurde auch der Münster seines Schmucks zumeist beraubt. Zwei und fünfzig Altäre und viele Capellen wurden weggerissen, die Heiligenstatuen, viele Gemälde und unzähliger Zierrath abgenommen und verschleppt oder vernichtet und von der harmonischen Auszierung des herrlichen Gotteshauses blieb blos Einzelnes zurück. Die öden Wände wurden während des dreißigjährigen Krieges noch öder. Später zwar hat die Kunst sich zur neuen Ausschmückung versucht; was sie that, war jedoch des Hauses nicht würdig und meist eben so dürftig, als geschmacklos. Erst 1817, bei Gelegenheit des Reformationsfestes, ist für die Restauration des Tempels Besseres geschehen. Aber unendlich viel ist noch zu thun übrig und ein Ausbau, dem ursprünglichen Plane gemäß, wäre der Zeit wohl würdig, die es unternommen hat, in Cölns Dom die größte architektonische Idee aller Zeiten und Völker zur vollendeten That zu machen. – Der Chor des Ulmer Münsters ist derjenige Theil, welcher von den Stürmen der Reformation am meisten verschont blieb. Seine trefflichen, wohlerhaltenen Glasmalereien sind das Beste, was die (nun neuerstandene) Kunst in Süddeutschland aufzuweisen hat. Vor dem Chor steht der Hauptaltar mit Hans Schäuffelins herrlichem