Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Aussaat ärndtet, ihn immer als seinen größten Wohlthäter zu preisen haben. So Vieles und so Großes, als durch Napoleon für Antwerpen geschehen ist, wäre nie geschehen, am allerwenigsten unter der holländischen Herrschaft, unter welche es, nach dem Sturze des französischen Kaiserreichs, 1815 gelangt war.
Der allgemeine Frieden gab Antwerpen den vollen Gebrauch seiner Kräfte, und schon 1815 klarirten wieder fast 4,400 Schiffe in den anderthalb Jahrhunderte lang verödet gewesenen Hafen ein. Fort und fort nahm Antwerpens Verkehr zu. Er hatte schon den von Amsterdam und Rotterdam, seiner alten Rivalen, überflügelt und sich wieder zum Weltmarkte vom ersten Range gehoben, als die Abtrennung Belgiens von Holland sein Gedeihen von neuem erschütterte. Antwerpen, nun ein belgischer Hafen, sah sich plötzlich ausgeschlossen von der Theilnahme an den großartigen Geschäften mit den holländischen Colonien, und die Holländer, im Besitz der Citadelle und der Scheldemündungen, häuften Drangsal auf Drangsal, und Verluste auf Verluste auf die lange schutzlos gelassene Stadt. Von ihnen wurde das Entrepot in Brand geschossen und es verzehrten die Flammen für viele Millionen Güter. Endlich befreite die denkwürdige Belagerung und Eroberung der Citadelle (1831) durch ein französisches Heer Antwerpen und seinen Strom von den holländischen Drängern, und Belgiens sich riesenhaft entwickelnde Industrie, in Verbindung mit den Vortheilen, die ein das ganze Land überspannendes Eisenbahnnetz, dessen Hauptstrang in Antwerpen endigt, dem Handel gibt, ersetzte reichlich, was es durch die Ausschließung vom holländischen Colonialhandel verloren hatte.
Nach diesem geschichtlichen Ueberblick werfen wir einen in die Stadt selbst. – Den ersten Eindruck, den wir da empfangen, ist das Leben auf Straßen und Plätzen. Ueberall ist Thätigkeit, überall Auf- und Abladen der Waaren, Hin- und Hertragen der Ballen und Geldsäcke; überall eilende Commis und dichte Schaaren von Arbeitern. Alles scheint auf der Flucht, um die entschwindende Zeit zu haschen. Aber auch das architektonische Bild der Stadt selbst ist gar reich und mannichfaltig. Im älteren Stadtkern, der noch den Typus der großen altflandrischen Zeit bewahrt, stehen in breiten, heitern Straßen wohlerhaltene Giebelhäuser, tüchtigen und wohlhabigen Ansehens: theils im ältern Style mit einfachen Streifen, theils reicher mit Heiligenbildern, oder mit mythologischen und allegorischen Gestalten verziert; nicht selten wechselnd mit alt-gothischen Kirchen, oder vormaligen, in Wohnungen umgebauten Klöstern, oder größeren öffentlichen Gebäuden. Bei dieser Alterthümlichkeit (welche sich hier weit großartiger, als in den deutschen mittelalterlichen Städten, z. B. Aachen, Frankfurt, Nürnberg, Augsburg etc., äußert) ist nirgends Verfall, nirgends Vernachlässigung oder Mangel zu sehen; das Alte ist so wohl erhalten, wie das Neueste, und seine sorgfältige, liebevolle Pflege thut Augen und Herzen wohl. Nichts Winkliches, Kleinliches, Beengendes auch! Geräumige Straßen wechseln mit geräumigen Marktplätzen und hie und da läuft eine Reihe alter Rüstern neben breiten, klaren Kanälen hin. Das Ganze ist ein heiteres, fröhliches Bild, das an
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/59&oldid=- (Version vom 1.12.2024)