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Seite:Meyers Universum 8. Band 1841.djvu/24

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CCCXXXIII. London und seine Eisenbahnen.




Die Industrie hat den Weltthron bestiegen. Nicht Szepter und nicht Schwert hält ihre Rechte; ihr Herrscherzeichen ist der Oelzweig. Die heutige Industrie wird, sie muß bei ungestörter Fortentwickelung verwirklichen, was utopischer Traum war; sie muß den Krieg zur Unmöglichkeit machen. Mit Unrecht und ihr Wesen verkennend, hat man ihrem Treiben, das an Umfang, Unerschöpflichkeit und Größe Alles übertrifft, was die Geschichte kennt, die einseitige Wirkung zugesprochen, es werde der größern Zahl nichts übrig lassen, als ein rastloses, sinnliches Sorgen für Erwerb, Comfort und Genüsse aller Art, und die Menschheit dem grassen Materialismus gar überliefern. Als wenn ein solches Sinnenleben mit dem Weltgeiste sich vertrüge, der in allen Richtungen die Völkerschichten aufrüttelt und zu neuen, edleren Gestaltungen treibt! Jene Furcht ist baare Thorheit. Gewiß sind vielmehr die Riesenfortschritte der Industrie, der Windsbrautflug in den praktischen Künsten, eben so viel Anbahnungen zu Aehnlichem im Gebiete des Geistes, – unerläßliche Grundlagen, auf denen die Vorsehung den höhern Aufbau errichten will, den zu schauen unsere Zeit, oder doch unserer Kinder Zeit, berufen ist. Wer wäre so blind, daß er in den Eisenbahnen und in der Dampfschifffahrt nicht ausgestreckt sähe den gewaltigen Arm, welcher auf ein unerhörtes, organisches Zusammenleben der ganzen Menschheit hinweiset? Wessen Auge wäre so gar in Finsterniß befangen, daß es nicht in der fortsteigenden Anwendung der Maschinen und neu entdeckter mechanischer Kräfte eine Zukunft gewahrte, die den Menschen vom Adamsfluch erlöst, selbst Maschine zu seyn und in der rohesten Arbeitsfessel sein irdisches Daseyn zu verhauchen? Wer wäre so kurzsichtig, daß er nicht in der immer wachsenden Vervollkommnung, Vermehrung und Verwohlfeilerung der Bequemlichkeiten und Genüsse eine Verheißung läse von einer nicht fernen Zeit, wo auch der großen Masse der Menschheit, jener, welche man bisher mit der Hoffnung auf eine überirdische Seligkeit so wohlfeil abgefunden hat, ihr gebührendes Theil werden wird an den Genüssen, welche die Vergangenheit einer unendlichen Minorität gleichsam als Privilegium spendete? und wer freut sich nicht einer solchen Verheißung, die Allen gibt und zusagt, einem nimmt oder abkürzt? Das mit derselben nicht im Einklang zu stehen scheinende Rast- und Ruhelose im heutigen Treiben soll Niemanden irren. Der Preis lohnt der Mühe wohl, und es ist schon recht, daß er im Schweiße des Angesichts verdient seyn will. Es ist ein Preis, nicht der Unthätigkeit, sondern der Anstrengung, des Kämpfens, des Ringens.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/24&oldid=- (Version vom 29.11.2024)