Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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interessantesten Entdeckungen hinleitete. Die Vereinigung beider Schätze galt damals als ein Ereigniß, wie seit Jahrhunderten keines die Kunstwelt bewegt hatte. Kunstrichter und Freunde der Kunst pilgerten in Menge nach Schleißheim und berichteten (Göthe zuerst!) mit unbegrenztem Enthusiasmus über die glänzende Wirkung, welche die Zusammenstellung der Meisterwerke altdeutscher Kunst hervorbrachte. Beide Schulen zeigten eine selbstständige, eigenthümliche Entwickelung, die in Martin Schön für die oberdeutsche, in van Eyk für die niederdeutsche ihre Culminationspunkte hatten. Namen, die früher kaum gewürdigt waren, oder matte, zweideutige Strahlen geworfen hatten, wie Hans Holbein, der Vater, und Wohlgemuth, der Lehrer Dürer’s, etc. etc. sind am Kunsthimmel seitdem als Sterne erster Größe anerkannt und den niederdeutschen Meistern, Wilhelm von Cöln, Hemling und Schoreel, nahe gestellt worden.
Die Boisseree’sche Sammlung verdoppelte den Schleißheimer Schatz durch 200 Bilder. Er umfaßte fortan den Gang der gesammten deutschen Malerkunst vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert, bis zu dem Zeitpunkte also, wo mit Dürer in Deutschland ebenso eine neue Periode anhob, wie in Italien gleichzeitig mit Raphael. – An die Bilder der alten, niederdeutschen Schule, welche in Schleißheim durch die schönsten Tafeln der Kölner Meister repräsentirt war, schlossen sich die Gemälde der Zeitgenossen, Schüler und Nachfolger in den Niederlanden und in Westphalen an; der ernste van der Goes, der charaktervolle Israel von Mecheln, der erfindungsreiche Hemling, Quintin Messis, Cornelius Engelbrechtsen, der ernste Walter van Assen und viele andere. Den Schluß des Cyklus machten die Tafeln des großen Lucas von Leyden, als unerreichbare Vorbilder zarter Ausführung; ferner die des vielseitigen, kraftvollen Mabuse, des zarten, gemüthvollen Schoreel, Calcars edle Compositionen, und die des begabten Bernhard von Orley. Gleichzeitig wurde die Schleißheimer Gallerie, theils durch glückliche Erwerbungen des jetzigen Königs, theils durch Versetzung aus andern königlichen Sammlungen mit Werken des jüngern Holbein (welcher das Bildniß auf die höchste Staffel des Ruhms hob), und des genialen, vielseitigen, wahrhaft großen Dürer bereichert, jener Meister, welche, als zwei Sterne erster Größe, den Glanz und den Ruhm der oberdeutschen Malerei gleichsam concentrisch in sich aufnahmen, und noch in folgende Jahrhunderte hinüberstrahlen. Um ihre Tafeln reihete man die der auch gefeierten Zeitgenossen: Hans Burgmayr, Hans Baldung Grün, Hans von Culmbach, Lucas Cranach, des phantasiereichen, vielseitigen, romantischen Altorffer, des scharfsinnigen Grünwald, der Behams und des Georg Penz. Es ließe sich über diesen (seit der Eröffnung der Pinakothek theilweise in München zu schauenden) Cyclus altdeutscher Gemälde, wie er wohl nie wieder so zusammenkommen wird, ein Werk schreiben, und nur mit Ueberwindung kann ich der Versuchung widerstehen, meinen Lesern auch Einzelnes von so viel Trefflichem zu beschreiben. –
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/195&oldid=- (Version vom 10.12.2024)