Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Piaster geschätzt. Aus dieser Quelle häuften sich bei einzelnen Familien jene colossalen Vermögen an, welche selbst in unserer Zeit noch Erstaunen erwecken könnten, obschon in dieser, wie in keiner frühern, die Beispiele von Ansammlung großer Besitzthümer so häufig sind. Luxus führte die Geldfülle aus den Händen der Wenigen durch tausend Canäle der übrigen Bevölkerung zu und eine allgemeine Wohlhabenheit, größer, als vielleicht irgendwo, gestaltete sich unter diesen eigenthümlichen Verhältnissen. Lima’s Glück war groß; aber eine fürchterliche Plage zerstörte es oft gerade dann, wenn es am allerglänzendsten leuchtete. Lima steht nämlich auf dem Rande einer Vulkan-Zone und ist deshalb häufigen Erschütterungen ausgesetzt. Am 9. Juli 1586 verwandelte ein Erdbeben die ganze Stadt in einen Schutthaufen und begrub zwei Drittel ihrer Bevölkerung unter den Trümmern. Die Erinnerung an diese Catastrophe wird noch jetzt durch einen Bußtag gefeiert. 1609 war ein anderes, das ein Drittel der Stadt zertrümmerte; zum zweitenmale aber wurde ganz Lima zum Schutthaufen 1630 am 27. Nov. An 12,000 Menschen wurden erschlagen und ebenfalls ein Bußtag feiert das Andenken daran. Aehnliche, doch in ihren Folgen minder schreckliche Heimsuchungen erfuhr es 1655 und 1678. Eine der entsetzlichsten war das Erdbeben vom 20. October 1687. Die Ufer des Meeres bliesen sich auf, erhoben sich 20 Fuß hoch und das Meer stürzte an zwei Meilen weit zurück. Als dann das Ufer wieder einsank, da wälzte sich die Meerfluth ihrem alten Bette zu mit so ungeheuerer Wucht, daß sie ganz Callao verschlang und alle Schiffe im Hafen; ja das Meer drang bis Lima herauf, des Wassers und des unterirdischen Feuers Schrecken stritten um die Herrschaft über die unglückliche Stadt. Ueber die Hälfte derselben wurde zerstört. Die Jahre 1699, 1716, 1725, 1732, 1734, 1745 brachten mehr oder weniger heftige Catastrophen gleicher Art. Ihnen folgte die schreckliche von 1746. In weniger als drei Minuten lagen drei Viertel der Häuser in Ruinen, und unter ihnen waren 19,000 Menschen begraben. Lange nachher durften keine Häuser anders als von Holz und einstöckig erbauet werden, damit die Verluste an Menschenleben gemindert wurden, welche aus dem Einstürzen steinerner und mehrstöckiger Hauser so leicht erfolgten. Um des nämlichen Zwecks willen mußten die früher sehr engen Straßen sämmtlich bis auf wenigstens 25 Fuß erweitert werden. Besondere königliche Lizenzen gehörten dazu, Paläste und größere Wohnhäuser aufzuführen, und erst in neuerer Zeit wurde es nachgelassen, die gewöhnlichen Häuser statt von Holz von ungebrannten Backsteinen zu errichten, da deren Mauern die häufigen, wellenförmigen Erdbewegungen nicht minder gut ausdauern, als hölzerne und sie weit weniger leicht einstürzen, als solche von Quadern und gebrannten Ziegeln. Selbst die Umfassungsmauern der Hauptstadt und die Bastionen sind aus solchen an der Sonne gedörrten Thonwürfeln aufgerichtet. Seit 1746 hat zwar Lima keinen jener zerstörenden Unfälle wieder erlebt; desto häufiger aber sind schwächere Erschütterungen, und es vergeht selten ein Jahr, wo nicht einmal der Ruf: El tremblor! El tremblor! tausendmal fürchterlicher
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/151&oldid=- (Version vom 7.12.2024)