Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Denkmäler bestätigen es; so mehre Basreliefs, auf welchen neben den Vorstellungen von Odinsopfern biblische Ereignisse abgebildet sind, und das Kreuz ist eingemeißelt auf einem Altare, den heidnische Symbole bedecken. – Die heutigen Einwohner der Insel, wahrscheinlich direkte Nachkommen der alten Druidenbevölkerung, nähren sich von ihren Schaafherden und dem Fang der Seevögel, welche in ungezählten Schaaren die Felsenküste umschwirren. Jährlich viermal kommt ein Geistlicher aus Mull herüber, um das Wort des Herrn zu predigen, zu taufen, zu kopuliren und die Gräber der Verstorbenen einzusegnen. Die Jugend aber wächst von Geschlecht zu Geschlecht ohne allen Unterricht auf, und der berühmte Sitz druidischer Gelehrsamkeit ist gegenwärtig der der größten Unwissenheit. Schneidend ist die Ironie dieses Zustandes für das Jahrhundert der Aufklärung und allgemeinen Bildung; handgreiflich ist die Schmach; aber keine Hand rührt sich, sie zu entfernen.
Staffa, das Schwestereiland, ist unbewohnt; seine Naturwunder führen indeß jeden Sommer Schaaren von Reisenden zum einsamen Felsen. Die Spekulation hatte vergeblich es versucht, für die Bequemlichkeit der Besucher ein Gasthaus zu errichten. Zweimal standen die Gebäude; aber jedesmal rissen die atlantischen Winterorkane sie wieder weg und schleuderten ihre Trimmer in’s Meer. – Staffa ist der 140 Fuß senkrecht aus dem Meere hervorragende Gipfel eines erloschenen Vulkans, von dessen Seiten die Lavaströme in die Fluthen stürzten, denen wir die wunderbarsten Basaltbildungen verdanken, welche die Erde aufzuweisen hat. Die ganze südliche Façade der Insel, in einer Breite von fast einer halben englischen Meile, gleicht einem Feenpallaste von unbeschreiblicher Majestät. An vielen Stellen sind die Säulengeschosse mehrfach über einander gebaut; an andern bilden sie vorgeschobene Portale, an andern weite Thore, an deren innern Seiten sich Säulen an Säulen reihen, und deren Decken cassettirt sind, so regelmäßig, wie von den Handen des Baukünstlers. – So viele der bekannten Höhlen sind, so findet man jährlich doch noch neue auf, und man vermuthet, daß der ganze Bauch des Eilands damit angefüllt sey. Die herrlichste und berühmteste aller ist die Fingalshöhle; sie liegt an der Westseite des Gestades. Eifersüchtig hütet der Ocean dies Wunderwerk von des Schöpfers Hand, und Tausende kommen und gehen wieder, ohne es gesehen zu haben; denn nur bei scharfem Westwind ist die Annäherung der gefährlichen Strömung und fürchterlichen Brandung wegen überhaupt möglich. Da geschicht es wohl, daß die Schaaren der Touristen wochenlang harren, und der günstige Augenblick will doch nicht kommen. Auch ich war keiner der Glücklichen, welche das Wunder schauten; ein Anderer soll für mich berichten. – „Westwind wehete, unsere Freude war groß. Am Mittag näherten wir uns dem ersehnten Ziele; in hoher Pracht lag das schöne Eiland, mit der reichsten Säulenordnung der Welt, im ruhigen Ocean vor unsern Augen, angestrahlt und verherrlicht von der Sonne. Die Beleuchtung, vom tiefsten Schatten bis zu den glänzendsten Silbertinten, war unbeschreiblich. Rauschend flog das Dampfschiff durch die Brandung; in ungefähr 100 Faden Entfernung, seitwärts von der Höhle, hielt es an; Jeder
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/13&oldid=- (Version vom 29.11.2024)