Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Glasgehäusen. Die Mexikaner sind noch große Verehrer der Heiligen, und das gottlose Beispiel im Mutterlande hat bei der Tochter keine Nachahmung gefunden. Noch hat hier die Priesterwelt ein Paradies. Man schätzt die Jahres-Einkünfte der hiesigen Geistlichkeit (4000 geschorene Köpfe gibt es!) auf mehr als anderthalb Millionen Piaster. Fast jeder Tag hat seinen Spezialheiligen, der von irgend einer Congregation mit Prozession, Illumination, Feuerwerk und Bollerschießen gefeiert wird, und an dem Feste der Groß-Dignitarien des Himmels nimmt das ganze Regierungspersonal en robe, und die gesammte Militairmacht, unter Kanonensalven und Janitscharenmusik, Theil. Die größere Zahl der Geistlichen steht in dem Rufe eines sehr weltfreundlichen Wandels, und die Unwissenheit ist der Meisten Erbtheil. Die Sitten sind im Allgemeinen gar lax in Mexiko, und die Damen zumal genießen großer Freiheit.
Unter den Merkwürdigkeiten der Hauptstadt hat der Nationalpalast (sonst der des Vicekönigs), nicht blos wegen seiner ungeheuern Größe und Bestimmung, sondern auch dadurch Interesse, daß er auf der Stelle der Residenz der alten Azteken-Dynastie (der Kaiser von Mexiko) errichtet wurde. Wenige Ueberreste davon sind noch zu sehen. Es umfaßt dieser Pallast die Sitzungssäle und Kanzleien für sämmtliche Oberbehörden der Union, und zugleich halten die legislativen Körper, Senat und Deputirte, hier ihre Versammlungen. Der Saal der letztern ist halbkreisförmig und die Sitze der Abgeordneten sind amphitheatralisch um den Präsidentenstuhl gereiht. An den Wänden prangen die Namen der Befreier des Vaterlandes von dem spanischen Joche in goldenen Buchstaben. Der Faktionsgeist ist der Krebsschaden, der in Mexiko eben so wie in den südamerikanischen Föderativ-Republiken am Staate fortwährend nagt und ihn an der großen Entwickelung hindert, welcher er von Natur fähig ist. Jener böse Geist durchdringt alle Stände und den Stamm wie die Zweige der Regierung; er macht die Stellung der Beamten sehr unsicher und nährt die verderbliche, allgemeine Ansicht derselben, daß sie das Amt nur als eine Gelegenheit besitzen, sich zu bereichern und den Staat ex professo zu plündern. Die wenigsten Verwaltungsbeamten genießen hinlängliche Besoldungen, um anständig davon leben zu können, und sind gleichsam auf den Raub mit angewiesen. Unter diesen Verhältnissen ist der Schatz der Union stets leer, und die couranten Einkünfte sind auf Jahre hinaus durch temporäre Anlehen bei hiesigen Handelshäusern zu 4 Prozent monatliche Zinsen verpfändet und voraus verzehrt. Bei dieser Wirthschaft verliert freilich die Unionsregierung eben so sehr an Kraft als an Achtung, und die schönen Reden und patriotischen Vorschläge der Deputirten verhallen ohne That. Selbst die Polizei ist notorisch bestechlich und die öffentliche Sicherheit daher schlecht gewahrt. Räuberbanden treiben in den Gebirgsgegenden ungescheut ihr Wesen; sie machen für jeden Transport kostbarer Güter (besonders edler Metalle aus den Bergwerken und Münzen) starke militärische Bedeckung nöthig und das Reisen überhaupt gefährlich. Kein Wunder, wenn bei solchem Stand der Dinge die wichtigsten Institute für Förderung von Kunst und Wissenschaft
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/116&oldid=- (Version vom 5.12.2024)