Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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geschnitztes Heiligen- oder Madonnenbild von einer Hausecke oder über einer Pforte herab, und auf manchen Wänden sieht man alte Malereien in Fresko. Sie stellen vor die Legenden von Drachentödtern, Riesenbezwingern, dem großen Christoph, Goliath etc. (gern bezogen unsere Vorältern Profangeschichten sinnbildlich auf das Heilige) und geben vielen Häusern ihren Namen. Die Märkte sind unregelmäßig, doch einige groß, wie der Emmeran’s- und Dominikanerplatz. Die älteste Straße ist die Wallerstraße, mit Ueberresten noch aus der Römerzeit; die prächtigste die Maximiliansstraße, mit durchaus neuern Gebäuden. Fast alle Kirchen sind sehr alter Gründung, und keine ist, die nicht dem Kunstfreund durch irgend ein bedeutendes Werk der Skulptur, Malerei oder Bildschnitzerei für die Mühe des Besuchs reichlich entschädigte. Aber das schönste und ehrwürdigste Denkmal deutscher Kunst ist der herrliche, weltberühmte Dom. Von ihm sagt Wiebeking (i. s. Baukunst, 1. Bd. 684): „es ist uns noch gegenwärtig der vollgültigste Zeuge von einer Zeit, worin die kraftvollen Magistrate einzelner Städte und ihre biederen, fleißigen und tüchtigen Bürger vom Eifer beseelt waren, großartige Bauwerke zu errichten zur Ehre des ewigen Gottes. Es war ohne Zweifel das Gefühl wahrer Gottesfurcht, welches zum Entschluß auch dieses gewaltigen Monuments begeisterte, das ebenso über Regensburg’s moderne Wohngebäude hervorragt, als die Zeit alter biederer Sitte über ein verdorbenes Jahrhundert, worin die Gewalt über das Recht, Scheinheiligkeit über Moralität, persönliche Protektion über wahres Verdienst siegt, und der Egoismus alle edlen Gefühle der Dankbarkeit oder Anerkennung ächter Kenntnisse erstickt.“ –
Der Bau dieser Kirche, welche, wäre der ursprüngliche Plan durchgeführt worden, an Herrlichkeit den Straßburger Münster noch übertroffen haben würde, dauerte von 1273 bis 1456. Mit der Dämmerung des Reformationslichts erlosch die opfernde Flamme, und mit dem Vertrocknen der Geldquelle hörte auch die Fortsetzung des Riesenbaus auf.
Die Thürme, die 450 Fuß hoch geführt werden sollten, waren damals noch lange nicht zur Hälfte ihrer Höhe gebracht; auch der innere Schmuck blieb unvollendet. Aber in ihrer Einfachheit machen die drei majestätischen Hallen, deren jede, 300 Fuß lang, von 60 Fuß hohen Bündelpfeilern getragen wird, einen nicht weniger tiefen Eindruck. Auf den Pfeilern ruhen die hohen Seitenmauern des Mittelschiffs, mit 20 großen Fenstern voller Schmelzmalereien, die eine sanfte, aber hinreichende Beleuchtung auf die weiten Räume werfen. Die Höhe des Mittelschiffs ist 120 Fuß; die des Chors 140′. An den Wänden hin reihen sich die Denkmäler geistlicher und weltlicher Fürsten und die der alten patrizischen Geschlechter.
Regensburg steht an Menge und Zweckmäßigkeit seiner Anstalten für Erziehung, Wissenschaft und Kunst keiner deutschen Stadt ähnlicher Größe nach. – Außer einem Gymnasium, Lyceum und Seminar bestehen eine gut eingerichtete Landwirthschafts- und Realschule, 2 öffentliche Bibliotheken, Sternwarte, historische, landwirthschaftliche, naturwissenschaftliche Vereine und eine botanische Gesellschaft, welcher eigene Pflanzensammlungen in
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/104&oldid=- (Version vom 5.12.2024)