Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band | |
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Die Citadelle, Fort William, liegt seitwärts, und ihrer desolaten, baumlosen Umgebung nach, spielt der Kriegsgott hier eine untergeordnete Rolle. Doch ist die Festung vortrefflich angelegt und ihre Werke gelten für unüberwindlich.
Das Innere von Calcutta prangt einerseits mit allem Glanze der europäischen Architectur und zeigt in andern Theilen allen Schmutz und alle Aermlichkeit einer dichtgedrängten indischen Hüttenbevölkerung. Die europäische Stadt dehnt sich, westlich von der Festung, eine Viertelstunde weit aus, und der Gouvernementspallast auf der Esplanade, wo der Generalgouverneur des brittischen Indiens im Pomp eines orientalischen Fürsten Hof hält, ragt wie eine Krone über die langen Reihen von Pallästen, welche sich ihm anschließen. Sie sind im griechischen Styl aufgeführt und von schattenden Baumgruppen umgeben, die dieser Parthie ein malerisches, imposantes Ansehen verleihen. Hier wohnt der crösusreiche und hoffähige Theil der europäischen Bevölkerung, der hohe Beamte und der Millionair, in einem Style, der die europäische Verfeinerung mit dem Luxus des Ostens zusammenfaßt. – An diese schließen sich die Wohnungen von indischen Vornehmen und denjenigen Europäern an, welche weder Rang noch Reichthum genug haben, um der Ehre einer Einladung zu den Levees des Statthalters theilhaftig werden zu können. Die übrigen Stadttheile, der Masse nach bei weitem die größten, gehören zur sogenannten schwarzen Stadt, einem häßlichen, engen, chaotischen Durcheinander von kleinen, rothen, unbeworfenen Backsteinhäuschen, schmutzigen Pagoden und elenden Hütten von Bambus, die primitiven Wohnungen des gemeinen Paria. In diesem Stadttheile, dessen Gäßchen, selten gepflastert, von dickem Koth überlagert sind, ist eine halbe Million Menschen zusammengedrängt, während die übrigen, elegantern Viertel kaum den zehnten Theil dieser Bevölkerung haben. Ueber die Gesammtzahl derselben weichen die Angaben auf eine kaum glaubliche Weise ab. 1752 zählte man in der Stadt, einschließlich der zunächst liegenden Dörfer, 409,056 Seelen in 51,133 Wohnungen. In einer Brochüre des Calcuttaer Schulvereins finde ich, für 1819, die Einwohnerzahl auf 750,000 angegeben; neuere Reisende variiren in ihren Schätzungen von 300,000 bis zu 1 Million. Die Wahrheit mag in der Mitte liegen. Der Stand der Bevölkerung ist sehr veränderlich, und zu Zeiten großer Epidemien, welche hier häufig und verwüstend sind, wandert ein Theil der Hindus aus und zerstreut sich in die Umgegend.
Die Gesellschaft in Calcutta sondert sich mit der Schärfe orientalischer Etikette in verschiedene Klassen, die wenig mit einander verkehren und von denen jede ihren eigenen Stempel trägt. Die Britten füllen die erste Reihe ausschließlich. Es sind dieß die Civilbeamten und Advocaten (deren Stand hier einen goldenen Boden hat); die Militairoffiziere und großen Kaufleute. Ausgestattet mit dem Reichthume europäischer Bildung und im Besitze großer Einkünfte, sey es als Gehalt, oder als Ertrag ihrer Thätigkeit, machen diese Leute große und glänzende Häuser, und in ihren Kreisen vermißt man keine der Formen und keinen Genuß der feinen Gesellschaft einer europäischen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/216&oldid=- (Version vom 8.12.2024)