Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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es herrscht der fromme Glaube, daß der Christ, angethan mit denselben, sanfter im Grabe schlummere. Nach den Abwaschungen besuchen die Pilgerschaaren gewöhnlich den Elisah-Brunnen am Fuße eines nahen Berges, dieselbe Quelle, welche der Prophet (2. Kön. 2, 19.), nach alt-testamentlichem Zeugniß, trinkbar machte. Auf dem Berg (Quarantanai) hielt sich, der Tradition nach, der Heiland auf während seiner 40tägigen Fasten und hier versuchte ihn der Vater alles Bösen. Ein altes, halb verfallenes Kapellchen krönt den Gipfel des Berges, und an dessem Fuße sind eine Menge Höhlen, früher die Wohnungen christlicher Einsiedler, aber verlassen seit Jahrhunderten.
Die Wallfahrt beschließt eine Wanderung nach dem todten Meere. Der Weg dahin führt zuerst durch eine sandige, baumlose Ebene, dann durch ein, zu tiefen Schluchten gewaltsam aufgerissenes, felsiges Terrain, und ist sehr beschwerlich. Der Pflanzenwuchs wird, je näher man dem todten Gewässer kömmt, immer ärmlicher; niedrige, krüppelhafte Sträuche treten an die Stelle der hohen Pappeln und Platanen, und ein binsenartiges, dürres Gras an die der saftigern, in bunten Farben blühenden Gewächse. Auch die organische Welt flieht den unheimlichen Boden: am See singt kein Vogel, springt die Gazelle nicht, summt kein Käfer, flattert kein Schmetterling. Die Ufer bilden auf der Seite von Jericho einen hohen Damm von übereinander geworfenen Felsstücken, der in der Nähe die Aussicht verhindert. Erst wenn man jenen erstiegen hat, übersieht man das stille Gewässer, welches in der beträchtlichen Länge von 11 Meilen und 4 bis 5 Meilen Breite das herrliche Thal deckt, wo Sodom und die Schwesterstädte durch ihre Ueppigkeit einst den Zorn des Herrn erregten. Sein Anblick ist schaudererregend. Es breitet sich wie eine ungeheuere Tafel von schwarzblauem Lasurstein aus, und eine in’s Graue und Gelbe schillernde Steinölhaut hindert, daß der Luftzug die Oberfläche in Wellen furche. Auch nicht das kleinste Moos lebt am Ufer; nichts mildert den Gedanken an Zerstörung und ewigen Tod. Die Felsblöcke, die am Rande liegen, sind mit einem übelriechenden, schwarzen, klebrigen Schlamm bedeckt, und eben so Baumstämme, die, vom Jordan eingeschwemmt, längst blätterlos, wie schwarze Gespenster der Pflanzenwelt sich auf der Oberfläche umhertreiben. Hie und da liegen Gerippe von Fischen, welche aus dem Jordan in die See verschlagen wurden, und in demselben, wo alles Leben erstirbt, umkamen. Zahlreiche Naphta- und Schwefelquellen entspringen in der Umgebung des Sees, und am nordöstlichen Ende findet man, einige Fuß tief unter der Erde, jene bernsteinartige, schwarze Masse, aus der man die Kreuze macht, welche in Jerusalem zu Tausenden an Wallfahrende verkauft werden, und von denen in frühern Zeiten ganze Schiffsladungen voll in die Abendländer geführt wurden. – Niemand besucht dieses Gestade des Todes, als der christliche Pilger und der räuberische, wandernde Araber, der es mit abergläubischer Furcht betrachtet, und die tiefen Höhlen am Ufer zuweilen zu seinem nächtlichen, sichern Aufenthalt wählt, wenn er, mit dem Schakal der Wüste, auf räuberischen Ueberfall der in den nahen Thälern weidenden Heerden ausgeht.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/33&oldid=- (Version vom 9.9.2024)