Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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im Ganges ihr Grab finden. Noch fürchterlicher sind die Unglücksfälle, welche häufig durch den Mangel an Raum auf der großen Badestiege und in dem engen Zugange zu derselben entstehen. 1820, im Sommer, bei einer Anwesenheit von 700,000 Pilgrims, geschah es einmal, daß das Gedränge nach der Haupttreppe so fürchterlich wurde, daß, als sich nach fünfstündiger Dauer der Menschenknäuel entwickelte, über 3000, meistens Weiber und Kinder, zertreten und todtgedrückt, diese Stiege und die zu ihr führende Straßen bedeckten, und über 10,000 mit zerquetschten Gliedern ihre Frömmigkeit büßten. Unter den Erdrückten befanden sich sogar 120 Soldaten, welche der Gouverneur zur Aufrechthaltung der Ordnung hergesendet hatte. Seit diesem großen Unglücke hat die britische Regierung die Zugänge zu allen Badeplätzen, trotz der Protestation der Braminen, um das Doppelte erweitern lassen, und 2000 Mann Compagnietruppen sind während der Pilgerzeit dazu bestimmt, die Wiederkehr so schrecklicher Fälle zu verhindern. Man hat seitdem bemerkt, daß die Zahl der Pilger, obschon immer noch ungeheuer, alljährlich abnimmt, und der Zeitpunkt ist vielleicht doch so fern nicht mehr, wo England es wagen darf, den Strom europäischer Bildung und europäischen Strebens in weitern Kanälen nach jenen fernen Gegenden seines Weltreichs zu leiten, und an die Uhr des menu-asiatischen Lebens größere Gewichte seines Einflusses zu hängen. Unmöglich kann die von den Braminen unterhaltene Macht des Aberglaubens dem unaufhörlichen Lichtausstrahlen von den Centralpunkten europäischer Sitte, Calcutta, Bombay und Madras dauernd widerstehen, und im Gefolge der Sitten bahnt sich gewiß allmählich auch ein edlerer Glaube Weg in die Herzen der östlichen Völker. Es ist kein Traum des Menschenfreundes, daß im Wechselspiele menschlicher Schicksale Europa zur Regeneration Asien’s berufen sey. Nur die Zeit wolle man ihm nicht bemessen.
Sidon, die älteste Niederlassung jenes von den Gestaden des arabischen Meerbusens unter dem Namen Phönizier nach Syriens unwirthlicher Küste ausgewanderten Volkes, welches später durch Schifffahrt und Handel so groß geworden, die Buchstabenschrift, eine Menge Erfindungen und die Kultur Indiens nach Europa brachte und verbreitete, war schon zur Zeit der Einwanderung der Israeliten mächtig und reich. Moses nennt es „die erstgeborne Tochter Canaans“; und in den Büchern der Könige wird es als „die große Stadt“ bezeichnet. – Es blühete 1000
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/27&oldid=- (Version vom 9.9.2024)