Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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mit dem es durch mehre, jetzt bis auf die letzte Spur zerstörte Gallerien verbunden war. Jenes, der „große Pallast“ (auch nach dem ihm eingebauten arabischen Dorfe der von Karnak genannt,) hatte in seiner nach dem Nil zu gerichteten Fronte ursprünglich eine Länge von 7032 Fuß, welche also die der größten Königspalläste Europa’s zehnmal übertraf. Eine halbstündige Allee von 600 colossalen Sphynxen führt auf den Eingang. Er, den Flügelthüren von Bronze, 60 Fuß hoch und 20 Fuß breit schlossen, ist durch einen majestätischen Pylon von 350 Fuß Breite und 150 Fuß Höhe gebrochen, und 4 Colosse, jetzt bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert, standen an den Seiten des Thorwegs. Aus ihm gelangt man in einen 450 Fuß langen Säulen-Hof, und von da in ein tempelartiges Gebäude, das als Vorhalle zum Hauptsaal diente, welcher mit erzenen Riesenpforten von 63 Fuß Höhe versehen war. Dieser Raum, wahrscheinlich der königliche Thronsaal, in welchem sich bei feierlichen Gelegenheiten die Macht und Herrlichkeit des Reichs symbolisch kund that, ist die außerordentlichste und prachtvollste Anlage, die von irgend einem Volke, oder zu irgend einer Zeit, von Menschenhand ausgeführt worden. Man denke sich einen Saal von 47,000 Quadratfuß Flächenraum, so groß, daß der Münster von Straßburg bequem hinein gestellt werden könnte, getragen von 134 Riesensäulen, jede so hoch, als die berühmte Trajanssaule in Rom. Die Decke ist aus Felsenwürfeln, von denen jeder fast 30 Fuß lang, über 8 Fuß breit und 4 Fuß dick ist, und 1400 Zentner wiegt, zusammengesetzt. Aus dem Saale leiten mehre Gallerien in das Innere; ein Labyrinth von Zimmern, Vorhallen, Pylonen, alle mit Säulen, Statuen und Obelisken auf das verschwenderischste geschmückt. In einem der inneren Höfe stehen die größten Obelisken der Welt; mit ihrem 8¼ Fuß hohen Sockel ragen diese Monolithen 100 Fuß empor; sie stehen 20 Fuß tief in Schutt und das Gewicht eines Jeden berechnet sich auf 8000 Zentner. Die äußern Wände aller dieser geheimnißvollen Anlagen sind – auffallend genug! – ohne allen Bilderschmuck. Alle Thürgesimse haben aber in der Mitte als Symbol eine beflügelte Kugel; und nur in den kleinern Räumen, die wahrscheinlich die eigentliche Wohnung des Königs bildeten, sind auf den innern Flächen schöne, mit Farben bemalte Basreliefs, Scenen des Familienlebens der Monarchen, eingegraben. Die Plafonds dieser Zimmer zieren goldene, auf azurblauen Grund gemalte Sterne.
Dieses Monument ist auch als eines der ältesten Thebens höchst merkwürdig. Sein Erbauer war Busiris II., und die Zeit seiner Gründung fällt um das Jahr 4500 vor Christo. Diese erstaunungswürdigen Ruinen sind folglich 6300 Jahre alt. –
Von dem großen Pallaste, dessen Reste den Raum einer vollen Stunde im Umkreise einnehmen, leitete eine Doppelreihe von Widdercolossen zum großen Tempel, dessen Trümmer unser Stahlstich veranschaulicht. –
Zwölf Thore mit prachtvollen Propyläen führten in dieß unermeßliche Gebäude, das Muster der großartigsten Architektur. – Aus dem Hauptthorweg hat man durch einen langen Säulenhof einen magnifiken COUP D’OEIL auf die Mittelpforte des Heiligthums, welche einen Pylon durchbricht. Hinter diesem folgt ein herrlicher Portikus, von 28
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/62&oldid=- (Version vom 28.7.2024)