Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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guten Hoffnung, der Welthandel überhaupt eine Umwälzung erlitt, gleichzeitig die gesellschaftlichen Zustände sich änderten, die Hansa verfiel, die Städte der preußischen und kurländischen Küste sich zu selbstständigen Märkten erhoben und Verkehrwege in’s Innere der slavischen Länder sich bahnten; als durch Krieg und Seuchen Reichthum und Bevölkerung aus Nowogorod flohen und der Handel mit ihnen; als endlich ganz Rußland dem Joche der Tartaren anheim fiel; so vertrocknete dieser einst so wichtige Handelskanal allmählich, und nachdem sich Schweden zum Herrn aller Ostseeküsten gemacht hatte, (im 17. Jahrhundert), hörte die Frequenz der Newamündung gänzlich auf. Die neuen Beherrscher errichteten an derselben eine Citadelle; nicht zur Beschützung des Handels, sondern zur Stütze ihrer Herrschaft.
Die Wiedergewinnung jenes Küstengebiets, welche ihm zur Ausführung seiner Civilisationsprojekte unentbehrlich erschien, war eine der ersten Anliegen Peter’s nach seiner Gelangung zur höchsten Macht. Der Preis schien ihm des Wagnisses wohl werth, dem damaligen mächtigsten Reiche des Nordens (Schweden) entgegen zu treten. Nach furchtbaren Kriegswechseln errang Peter’s Beharrlichkeit und Beständigkeit den Sieg und eine seiner frühesten Früchte war die Wiedereroberung Ingermannlands und desjenigen Theils von Finnland, welcher den Golf umgibt, der des Landes Namen trägt.
Peter hatte diesen Feldzug persönlich geleitet. Von der See aus untersuchte er die Mündung der Newa. Er fand sie umgeben von einem mit Gestrüpp und Wald bedeckten Morast, in dem Wölfe, Bären und Auerochsen hausten. Die rauhe Hand des Kriegs hatte alle frühere Spuren von Kultur und Bevölkerung gänzlich verwischt. Auf solcher Stelle, unter’m 60. Breitengrade, und während des Kriegs, sich eine Kaiserresidenz zu bauen, seinem unermeßlichen Reiche eine neue Hauptstadt, war wahrlich! ein kühner Gedanke, und es bedurfte eines Geistes, wie Peter’s, um vor der Schwierigkeit seiner Ausführung nicht zurückzubeben.
Zuerst galt es, im neueroberten Lande fest zu fußen; der Bau einer Festung war folglich sein erstes Beginnen.
Die Newa schickt, kurz vor ihrer Mündung, einen Theil ihrer Gewässer durch zwei Seitenarme in’s Meer und bildet dadurch ein Delta, etwa 2 Quadratmeilen groß. Jene Nebenarme umschließen ein schmales waldbewachsenes Eiland und dieß wurde von Peter zum Platz für die Citadelle gewählt. 1703 begann er das Werk und setzte es fort mit einem Feuereifer und einer Beharrlichkeit, welche der Welt Erstaunen abnöthigten.
Die Gegend war unbevölkert; einige verfallene Fischerhütten waren die einzigen Spuren menschlicher Wohnungen weit und breit. Die ersten Arbeiten leitete Peter persönlich, und seine Garden nebst einigen tausend kriegsgefangenen Schweden waren seine Gehülfen. Aber bald forderte der Zweck viel bedeutendere Mittel. Peter, ein unumschränkter Herr über Leben und Tod im Reiche, rief seine Unterthanen herbei aus den äußersten Fernen, und wie bei einer neuen Völkerwanderung so zogen die Arbeitsleute in zahlreichen Schaaren der Einöde zu, wo die künftige Kaiserstadt erstehen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/214&oldid=- (Version vom 27.8.2024)