Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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Punkt des Col liegt 4264 Pariser Fuß über dem Meere; aber der beschneiete Gipfel des Berges ist 2000 Fuß höher. Das Posthaus steht auf der Schärfe des Kammes und aus seinen Fenstern hat man entzückende Aussichten in die Bergwelt und in sonnige Thäler nach Italien hin. – An der Seite der tobenden Eisaok, welche bei’m Dorfe Brenner einen schönen Wasserfall bildet, kommt man nach fünfstündigem Abwärtssteigen nach Sterzing, einem artigen Städtchen von 1300 Einwohnern, der URBS STYRIACORUM der Römer. Unfern von demselben ragt wie ein Riese der 8000 Fuß hohe Schneeberg in die Wolken. – Immer in engem Thale und zuweilen in tiefer schauerlicher Schlucht läuft der Weg fort bis nach Mittenwald. Diese ganze Strecke vertheidigte Hofer mit seinen Tyrolern Schritt vor Schritt mit verzweifelter Tapferkeit gegen die fremden Unterdrücker, und ein Bergkessel bei dem genannten Dorfe ist die Stelle, wo der Held eine seiner gelungensten Waffenthaten ausführte. Als nämlich die 4000 Mann starke Vorhut des vereinigten Heeres der Franzosen und Baiern bis hierher vorgedrungen war, sahen diese den Ausgang durch Verhaue und Gräben gesperrt. Sie machten Anstalt aufzuräumen, als auf ein gegebenes Zeichen plötzlich von allen Bergen rings umher große Felsblöcke sich lösten (welche die Tyroler zu dem Zwecke gelockert, mit Stricken aber festgehalten hatten) und auf die entsetzten Feinde mit Lavinendonner herabstürzten. – Ueber 2000 Mann wurden zerschmettert und der fliehende Rest fiel von den Kugeln und Kolbenschlägen der ihnen nacheilenden Bauern. Fast keiner entrann. So groß war die Wirkung dieser That auf das Hauptheer, daß dieses sich bis zum Fuße des Brenner zurückzog, und es, obschon an Zahl der Handvoll Bergschützen zwanzigfach überlegen, lange nicht wagte, seine Angriffsoperationen zu erneuern. –
Ein tiefes Defilee, das sich nach rechts und links häufig in malerische Bergthäler öffnet, und an den Schlössern Sporchenstein und Reiffenstein vorbei, dann bei Mühlbach dem alten Raudeneck vorüber, führt, leitet in das freundliche Pusterthal, und Brixen, die größte Stadt desselben, liegt ausgebreitet da. Hier weht zuerst italische Luft und die sonnigen Bergwände sind mit Reben, Kastanien und Feigen bepflanzt, welche gut gedeihen. Aber weiter abwärts verengt sich das Thal von neuem zur Schlucht, und die dunkeln Schatten der hohen Berge verscheuchen die südliche Vegetation wieder. – Hinter Clausen (5 Stunden von Brixen) wird die Gegend schauerlich wild, Bergkegel thürmt sich an Bergkegel auf, und ein eisiger Wind, hoch von den entferntern Schnee- und Gletscherwüsten kommend, bläst aus allen Schluchten. Durch dieses Labyrinth windet sich die Straße bald rechts und links an der Puster fort, die unten im tiefen Felsbett braust, bis zum Dorfe Kollman, welches die Poststation zwischen Brixen und Botzen bildet. Gleich hinter diesem in einem von hohen Bergen umgebenen, freundlichen Thale liegenden Orte erfreut den Reisenden eine der herrlichsten Berglandschaften Tyrols. Seltsam erheben sich auf einem von Himmel und strahlenden Schnee- und Eisalpen geformten Hintergrunde eine Menge Bergpyramiden hinter- und übereinander, und Burgruinen und alterthümliche Schlösser prangen auf den meisten ihrer Gipfel.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/160&oldid=- (Version vom 8.8.2024)