Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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Im Anfange waren diese dem Zustande ihrer Erfinder angemessenen Begriffe dunkel, verworren und roh. Liebe zur Freiheit und Haß des Zwangs ist Grundzug der menschlichen Natur; und so lange die Menschen noch Ueberfluß an Raum fanden auf der Erde, in den ersten Jahrtausenden nach ihrer Schöpfung, lebten sie familienweise, wandernd von Thal zu Thal, von den wilden Früchten der Erde und von der Jagd. Sie hatten in diesem einfachen Verhältniß keine Aufforderung, ihre Vorstellungen von einem höhern Wesen zu erweitern oder zu ordnen. Ihre Gottesverehrung beschränkte sich auf das natürliche Gebet und auf das einfachste Opfer. In ihrem Zustande der Gleichheit warf sich Keiner zum Mittler zwischen Menschen und Göttern auf. Ueberfluß hatte Keiner, folglich auch nichts Bedeutendes zu verschenken. Es konnte also auch keine Schmarotzer geben unter dem Namen Priester, die Steuern forderten unter dem Namen Geschenke, und auch keine Herrschaft unter dem Namen eines Altars. Glaubenssätze und Moral waren gleich einfach und hatten nur einen Zweck, den der Selbsterhaltung. Die Religion war ein willkührlicher Begriff, den sich jeder Mensch selbstständig bildete, ohne beschränkenden Einfluß auf die Verhältnisse der Menschen untereinander; sie war weiter nichts als eine den mächtigern Naturkräften von den schwächern Wesen dargebrachte Huldigung.
In den Thälern Indiens, in der Nähe der Wiege der Menschheit, nöthigte die Vermehrung des Geschlechts zuerst die Menschen, sich in Gesellschaften zu vereinigen, ihre Subsistenzmittel künstlich zu erweitern. Sie lernten den Ackerbau.
Kenntniß von der Folge der Jahreszeiten, der Monate, des Jahreswechsels war bei der neuen Beschäftigung unentbehrlich. Es wurde also erfordert, zuerst auf den Gang der Sonne zu merken, die in ihrem scheinbaren Umlauf durch den ganzen Thierkreis, als die Mutter des Lichts und der Wärme, sich als die erste und höchste Kraft der ganzen Schöpfung ankündigte; dann des Mondes, nach dessem Wechsel und Wiederkehr man die Zeit ordnete und eintheilte; endlich der Sterne und der Planeten, nach deren Erscheinen und Verschwinden am nächtlichen Horizonte man die kleineren Zeitabschnitte bemaß; kurz Ackerbau führte zur Sternkunde, und bei den ackerbauenden Völkern entstand daraus von selbst eine neue Art, die herrschenden und regierenden Weltkräfte zu betrachten. Denn nachdem die Menschen bemerkt hatten, daß die Erzeugnisse der Erde in regelmäßigen und steten Beziehungen mit den Himmelskörpern standen; daß die Zeit des Entstehens, Wachsens und Vergehens jeder Pflanze nicht nur, sondern auch die Thätigkeit der Elemente, Gewitter, Stürme, Frost, Hagel etc. mit der Zeit der Erscheinung, dem Steigen und der Abnahme desselben Sterns, oder derselben Gruppe von Sternen zusammen traf: daß, mit einem Worte, das Stocken und die Thätigkeit des Wachsthums der Pflanzen vom Einfluß der Himmelskörper abhing; so schlossen sie auf die größere Gewalt dieser leuchtenden Wesen, und die Gestirne, als Schöpfer und Spender von Ueberfluß oder Mangel, von Glück oder Unglück, wurden zu höheren Mächten, zu Haupturhebern des Guten und Bösen. So entstand der Indier zusammengesetztes System von höhern und niedern Gottheiten, und der Götter Wohnung wurde nun der Himmel. Götter-König – Youh-Piter – war die Sonne. Der Mond war sein Gefährte, die Planeten Diener,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/140&oldid=- (Version vom 4.8.2024)