Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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Sieben hundert Jahre hatte Tyrus geblühet, und während so langen Zeitraumes nie einen Feind an seinen Mauern gesehen. Selbst als die Schwesterstädte der Assyrer Macht (unter Salmanassar) unterlagen, behauptete es glorreich, nach Vernichtung der feindlichen Seemacht, seine Unabhängigkeit. Aber jetzt (um das Weltjahr 3380) überzog der fürchterliche Nebukadnezar, König von Babylon, mit einem ungeheuern Heere das unglückliche Syrien, damit er die Küsten des mittelländischen Meeres seinem Reiche gewönne. Nach einem kurzen Kampfe stürzten die alten mächtigen Reiche Aegypten und Juda ein; – nur das kleine Tyrus widerstand dem Fürchterlichen und seinen Hunderttausenden in einer dreizehnjährigen Belagerung. Und auch dann wurden blos die Mauern, – nicht die Männer von Tyrus, von ihm überwunden. Denn als die Stadt nicht länger zu vertheidigen war, gaben sie diese den Flammen Preis; die ganze Bevölkerung zog aus und erbaute sich, von ihrer Flotte geschützt, auf der gegenüber liegenden Insel ein neues Tyrus, das sogar den Glanz des alten verdunkelte. Solcher Heldenmuth wurde belohnt durch ein paar Jahrhunderte der Ruhe und des Glücks. Aber dann sollte das Verhängniß erfüllt werden. Inmitten des glorreichsten Gedeihens fuhr Alexander, der Weltstürmer, nachdem er die Macht des Darius am Granikus tödtlich getroffen hatte, wie ein Wetterstrahl daher durch die persischen Küstenländer, und alles fiel vor ihm nieder. Nichts widerstand, Tyrus allein; – Tyrus, das unter persischem Schutz glücklich war und stark durch seine Flotte und insularische Lage, mit 50,000 heldenmüthigen Bürgern erfüllt. Die Eroberung dieser Stadt nach siebenmonatlichem fürchterlichen Kampfe war der Triumph der Kriegskunst und der unbeugsamen Beharrlichkeit; aber das schauderhafte Loos, das nun über die Stadt und die edlen Tyrer erging, ist vielleicht der abscheulichste Flecken in Alexanders bluttriefender Geschichte. Tyrus wurde geplündert und geschleift: seine Einwohner, was nicht gefallen war im Belagerungskampfe und in der Metzelei nach der Erstürmung, als Sklaven verkauft. Die ernsten, stillen Trümmer von Tyrus, wie die von Persepolis, sprechen noch heute des Menschenwürgers Schande aus und hundert Siege und zwanzig aus Politik erbaute Städte tilgen sie nicht. –
Nach der Alexandrischen Zerstörung erhob sich Tyrus nie mehr. Einige Bedeutung bekam es zur Zeit des August und behielt sie unter der römischen Herrschaft; aber es war doch immer nur ein armseliger Schatten seiner frühern Größe. Als die Sarazenen im 7. Jahrhundert es einnahmen, sank es in Nichts zurück. – Das heutige, nahe an der Stelle des alten gelegene, das Tor der Türken, ist ein schmutziger Flecken von 200 Häusern mit 1700 Einwohnern. Etwas Ausfuhr von Seide und Tabak nach Alexandrien ist das einzige traurige Ueberbleibsel einer Handelsgröße, wie sie nur Carthago, Venedig und London wieder gesehen haben. –
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/112&oldid=- (Version vom 4.8.2024)