Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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den Pisanern, und der stinkende, pesthauchende Morast in eine fruchtbare Landschaft verwandelt, welche sich mit freundlichen Flecken und Dörfern und den Landhäusern der Städter anfüllte. Jetzt ist diese, seit Jahrhunderten von der pflegenden Hand des Fleißes verlassen, wieder eine Wüste.
Zur See und im Welthandel überstrahlte Pisa lange seine Nebenbuhlerinnen Venedig und Genua. Es gründete Kolonien in der Levante, an der griechischen Küste und an den Ufern des Euxinischen Meers. Sein Reichthum häufte sich zu einer fast fabelhaften Größe an. Im 13ten Jahrhundert zogen 40,000 Bürger, in ritterlichem Schmuck und gerüstet, aus seinen Thoren, und 160 Kriegsschiffe beschützten auf allen damals bekannten Meeren seinen Handel. Niemals sah man die Freiheit üppigere Früchte tragen.
Aber das Glück ist nirgends zu fesseln; auch das Pisa’s war nicht von Dauer. Die kleineren Fehden, welche die Kräfte der jungen Republiken Oberitaliens anfänglich wohlthätig entwickelten und reiften, arteten endlich in kräfte-verzehrende, erbitterte Kriege aus. Die eifersüchtigen Gemeinwesen entbrannten gegen einander in tödtlichen, durch nichts zu versöhnenden Haß. Die schwächeren suchten Hülfe bei auswärtigen Mächten und wurden deren Werkzeuge zur Nährung der Uneinigkeit. Die Freiheit ging unter in diesen Verhältnissen. Ueberall erhoben sich Tyrannen.
Die mächtigsten gingen aus den Familien der Guelfen und Ghibellinen hervor. Beide rangen nach nichts geringerem, als nach der ausschließlichen Herrschaft in ganz Oberitalien. Alle Städte nahmen für die eine, oder andere Partei. Pisa schlug sich zu der der Ghibellinen, und kam dadurch mit den Nachbarn, Florenz, Lucca und Siena, welche den Guelfen anhingen, in tödtlichen Kampf. Genua, das, mächtig und reich, neidisch und eifersüchtig seit langer Zeit auf Pisa’s größern Glanz war, benutzte den günstigen Zeitpunkt, und erklärte diesem den Krieg. Unversehens griff es seine Kolonien an, hinterlistig seine Flotte, und schlug sie auf’s Haupt. Zur Häufung des Unglücks war in Pisa’s Mauern Zwist unter den Bürgern, blutige Parteiung unter den mächtigen Geschlechtern. Während die Hälfte der Pisaner sich draußen gegen die vielen Feinde schlug, färbte die andere Hälfte in brudermörderischem Kampfe die Straßen mit Blut. Ugolino, Haupt der Familie Gherardeska, warf sich zum Herrscher auf, und als die Guelfen, das siegende Florenz an der Spitze, ihn anerkannten als solchen, nahm Pisa das Joch.
Nicht für lange. Die Bürger standen auf – Ugolino floh. Er kehrte zurück an der Spitze eines zahlreichen Guelfenheers. Verrath und Zwietracht öffneten ihm die Thore, und das Henkerbeil nahm an den Rädelsführern Rache. Nach scheinbar hergestellter Ruhe zogen seine Verbündeten wieder ab; aber kaum wußten die Pisaner sie fern, so brach der Aufstand von neuem und schrecklich los. Ugolino wurde ergriffen, sammt seinen 3 Söhnen in einen Thurm geworfen und dem fürchterlichen Hungertode preisgegeben! – So schrecklich rächte
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/105&oldid=- (Version vom 2.8.2024)