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Seite:Meyers Universum 2. Band 6. Auflage 1835.djvu/172

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LXXXIV. Ruinen von Phylae in Oberägypten.




Unter den Nationen des Alterthums, welche allen übrigen Völkern in der Bildung voranschritten, sind die Aegypter die dritte. Indische Colonisten brachten die Cultur aus ihrem Ursitze nach Afrika; die Aethiopier verpflanzten sie nach Nubien und Aegypten und von da, durch den nach Attika auswandernden Kekrops aus Sais kam sie in unsern Welttheil. Schon 3000 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung hatte Indische Kunst und Wissenschaft im Nilthale seine zweite Heimath gefunden.

Ober-Aegypten war damals ein großes, mächtiges, unglaublich dicht bevölkertes Reich und der Schauplatz der rastlosesten Thätigkeit. Es war das Land der Wunderschöpfungen der menschlichen Kraft und Ausdauer, ein Mittelpunkt der Industrie und des Handels; das Land, in dessen Schooß die Reichthümer der Erde flossen; jetzt ist’s – die ärmste Provinz eines türkischen Paschaliks mit kaum 150,000 meist nomadisirenden Bewohnern, ohne Eigenthum und ohne Cultur; der Schauplatz von Raub, Verheerung, Tyrannei und Elend.

Schon einige Tagereisen von Cairo, stromaufwärts, wird das Land menschenleer, und der Ackerbau hört fast auf. Monumente des Alterthums, Ueberreste von Tempeln, Palästen und Vesten, Säulen, Wasserleitungen und Canäle, Pyramiden und Grabmäler wechseln mit einsamen Weilern und halbverfallenen, oder verlassenen Dörfern. Bei dem Flecken Kenne, 120 Stunden von Cairo, dem alten Denderah gegenüber, verläßt der Reisende das Nilthal und nimmt den Weg quer durch die Wüste, durch welche ihn ein dreitägiger mühseliger Marsch führt. – Erst bei Syene, einem elenden Flecken an der Nubischen Grenze, begrüßt er von neuem den herrlichen Strom. Hier fließt er nicht mehr fast unmerklich dahin, wie weiter abwärts, wo er oft mehr einem langen See, als einem Strome gleicht; aus einem engen Defilee kommend, rollt er rasch durch das üppige Thal, mit dem sichtbaren Zeichen ungewöhnlicher Aufregung. – Ein zweistündiger Weg von Syene führt an den merkwürdigen Ort, wo der Nil eine breite, ihn einst dämmende Felsenmauer vor undenklicher Zeit niedergestürzt hat. Die Trümmern derselben[WS 1] liegen als eben so viele Inseln in seinem Bette umher, zwischen denen sich der Strom mit fürchterlichem Ungestüm braußend und donnernd, seinen Weg bahnt. Die Geographen nennen diese Stelle die zehnte (letzte) Catarakte des Nils und hier endigt dessen Schiffbarkeit.

Mit Verwunderung bemerkt der Wanderer, vom Genuß des prächtigen Naturschauspiels gesättigt, auf mehren dieser romantischen Eilande Spuren von Mauerwerk und am Ufer eine Menge Ruinen, welche beweisen, daß diese

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: derelben