Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band | |
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Unsere Zeit ist die Zeit der Revolutionen. Und nicht alle gehören zu den proscribirten. Unzählige bewirkt sie, die man als ungefährlich, oder als nothwendig anerkennt, und die Könige und Fürsten der alten Welt wetteifern mit den Regierungen der neuen in Beförderung von solchen, welche jenen aufgeklärten Egoismus zum Hebel haben, der Einzelne, wie Vereine antreibt, in Unternehmungen zum allgemeinen Nutzen den Privatvortheil zu suchen.
Unter den Werkzeugen, womit die Wissenschaft den Menschen zu wohlthätigen Revolutionen dieser Art ausrüstete und womit der schwache Sterbliche das früher nie Gedachte sicher und leicht vollbringt, sind die Dampfmaschinen und Eisenbahnen die allermächtigsten. Kein Tag vergeht, ohne daß durch sie gewisse lange bestandene und für unbeweglich gehaltene Verhältnisse verändert und umgekehrt werden. Entfernte Städte werden durch sie vereinigt; Länder und Völker, durch Oceane getrennt, rücken nahe an einander; der Erdball selbst schrumpft zusammen und wird vor dem den Raum nach der Zeit messenden Verstande kleiner von Jahr zu Jahr. – Noch vor einem Decennium brauchte man zur Reise von Paris nach Petersburg 4 Wochen; jetzt 8 Tage. Vom Rhein nach Afrika[1] ist’s gegenwärtig eine fünftägige Fahrt; und aus der Mitte Deutschlands nach New-York[2] wird man noch in diesem Jahre in zehn, von der Donauquelle nach Constantinopel in acht Tagen gelangen können. Die früher sechsmonatliche, gefahrvolle Reise aus Europa nach Ostindien ist zu einer sechswöchentlichen geworden, und wenn die projektirte Dampfschifffahrt um das Cap Horn mit Stationen auf den Inseln der Südsee zu Stande gekommen ist, wird eine Reise um die Welt nur eine Sommertour seyn. –
Welche Wirkungen aber – welche nicht zu hemmende, unwiderstehliche Wirkungen wird dieß Aneinanderrücken der Völker, das unvermeidliche Sich-Kennenlernen und Vertrautwerden derselben, das innige Verschlingen und Aneinanderknüpfen ihrer wichtigsten Interessen, das sich einander Unentbehrlich-werden der Nationen auf den Kulturgang der Menschheit überhaupt hervorbringen? Leser, denke nach! – Und gehörst du zu Denen, die da trauern über so manches Geschehende, so schwinge dich an dieser Frage empor über die düstern Nebel der Gegenwart, dem kommenden Tag in’s Morgenantlitz zu schauen, das jene zu verhüllen bemüht sind.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1835, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_2._Band_6._Auflage_1835.djvu/135&oldid=- (Version vom 24.6.2024)