Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band | |
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Ueppigkeit und mehr Tugend; aber auch mehr Elend, mehr Armuth, mehr Laster und Verbrechen in sich schließt, als mancher mächtige Staat. Selbst Paris – obschon an Größe und Einwohnerzahl ihr am nächsten kommend, – erscheint zu diesem Coloß in jeder andern Beziehung so unbedeutend, daß ein Nebeneinanderstellen fast lächerlich seyn möchte.
Wohl verdiente London, diese Welt für sich, eine umfassende und ausführliche Darstellung; doch der Raum unsers Werks verbietet, sie zu versuchen. Er beschränkt uns auf den bloßen Umriß; aber wir behalten uns vor, einzelne Parthien des Bildes in reichern und genauern Darstellungen dem Leser später noch vorzuführen. –
London’s Ursprung hüllt sich in das Dunkel der grauesten Vorzeit. Schon vor Cäsar war es eine Veste der alten Britten. Sie ward zerstört im Kriege mit den Römern, welche auf der Stelle des uralten Towers ein Castrum erbauten und Londinium es nannten.
Die zum Verkehr vortreffliche Lage des Orts erhob ihn während der Römerherrschaft zur Bedeutung einer Handelsstadt. Unter Constantin wurde er befestigt. Die damals erbauten, noch in Spuren vorhandenen Mauern umschlossen eine Aera größer als die Hälfte der City. – Aldgate, Bishopsgate, Cripplegate, Aldersgate, Newgate, Ludgate, noch jetzt erhaltene Namen, waren die Thore. Ueber die Themse führte eine hölzerne Brücke. – Ein Bollwerk schützte sie: – Southwark, oder die Burg, die Borro.
Das Reich der Römer verfiel; bedrängt von den einfallenden Barbaren in ihrem eigenen Lande gaben sie die entlegnern Provinzen freiwillig auf. Dieß traf auch Britannien. Ihnen auf dem Fuße folgten, rache- und raubdurstig, die freigebliebenen Stämme des Nordens, Pikten und Scotten. London wurde erst von diesen, darauf von den zu Hülfe gerufenen Angelsachsen eingenommen und verheert. Letztere machten’s zur Hauptstadt ihres kleinen Königreichs Essex; aber Handel, Künste und Wissenschaften waren geflohen unter diesen Stürmen und wilden Eroberern. Seine christlichen Einwohner waren umgekommen, oder sie wanderten aus; ein großer Theil der Stadt lag in Schutt.
Erst als das Christenthum die Keime der Civilisation unter den herrschenden Sachsen ausstreute, zu Ende des 7ten Jahrhunderts, schien auch für London eine bessere Zukunft zu keimen. Es wurde der Sitz eines Bischofs. Der erste stiftete die Cathedrale von St. Paul, und erbaute, 1 Stunde westlich von der alten Stadt, ein Kloster, die Westminsterabtei. Das Asylrecht, welches König Sebert dem Abte für einen bedeutenden Umkreis verlieh, wurde in diesen unsichern Zeiten zum Anlaß für Viele, sich innerhalb desselben, unter dem unmittelbaren Schutze der Kirche, anzubauen. So entstand der zweite Haupttheil Londons, Westminster.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1835, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_2._Band_6._Auflage_1835.djvu/127&oldid=- (Version vom 22.6.2024)