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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/94

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CCCCLXXXVII. Die Boyneburg in Hessen.




Ja, wo die Chaussee von Kassel nach Eisenach bei dem Marktflecken Bischhausen in das weite fruchtbare Werrathal tritt, erblickt man auf einem der höchsten Berggipfel, welche von der entgegengesetzten Seite das Thal umgürten, weitläufige Ruinen. Wohl eine halbe Viertelstunde lang dehnen sie sich aus in allerhand Gestalten, bald als Giebelwände, bald als die Reste von runden, oder viereckigen Thürmen, die, selbst ohne Zusammenhang, bald durch Hochwald getrennt, bald von ihm verborgen werden. Schon der Ruinen Umfang deutet an, daß es kein gewöhnliches Ritterhaus sey, welches hier gestanden hat; kein Horst adeliger Schelmen, die durch Straßenraub und Diebstahl den Besitz gegründet haben, in welchem die Enkel sich brüsten. Nein! die Boyneburg war eine jener uralten deutschen Reichsvesten, aufgerichtet, um die Gauen und Kaufleute zu schirmen gegen die Schnapphähne und Wegelagerer, um zu zügeln und zu züchtigen die Jünger des Faustrechts und um den Kaisern, wenn sie im Reiche umherzogen, Recht zu sprechen, Fehde zu schlichten, Unbill zu strafen, oder Rath zu pflegen über Reichs- und Landesangelegenheiten, zur Hofburg zu dienen. In solchen Reichsvesten, deren es über zwanzig gab, spielt die deutsche Geschichte der thatenreichsten Zeit, und auch an die Boyneburg knüpft sich manches Ereigniß geschichtlicher Bedeutung. Mancher Reichstag wurde hier gehalten, manches für die Gestaltung deutschen Volksthums wichtige Gesetz hier erlassen, mancher Friede hier geschlossen und mancher Kriegszug hier verabredet, das Reich zu schirmen vor innern und äußern Feinden; auch mancher große und wackere Mann wurde hier geboren und erzogen, eine Zier des Vaterlandes in früheren Jahrhunderten und von deutschen Herzen noch in fernen Zeiten geehrt. Darum sind die Boyneburg-Trümmer auch eine Wallfahrtsstätte für uns geblieben, und ihre grauen Mauern sind der Magnet, welcher alljährlich viele wandernde deutsche Jünglinge und Männer vom Wege ab, den dunklen Waldpfad hinan auf die lichte Höhe führen, wo jeder Stein eine Legende erzählt und wo nebenbei ein prachtvolles Rundgemälde überrascht und belohnt. Gar herrlich ist die Aussicht von der höchsten Trümmer selbst, die man, obschon nicht ohne einige Mühe und Gefahr, ersteigen kann.

Die Gründung des Schlosses, das in der ältesten Teit Bomöneburg geheißen, verliert sich, wie der Ursprung des Boyneburgschen Geschlechts, in die Dämmerzeit der Sage. Schon im zehnten Jahrhundert saßen daselbst Grafen Bomöneburg-Northeim. Als mächtige Dynasten herrschten sie weithin durch Hessen