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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/56

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Bergwände bekleidet. Der Fluß, dessen Donner bald näher, bald ferner das Ohr betäubte, rieselt in diesem Ländchen des Friedens ruhig fort, die wilde Reuß ist eine stille Reuß geworden, und statt des unwirthlichen Felsengebäudes sieht der Wanderer wieder Menschen-Wohnungen vor sich, die ihm Ruhe und Erquickung verheißen.

Geht es auf der Lebensreise anders? Auch da ist Alpenland, und manche Pässe führen hindurch, und manches Hospiz steht auf winterlicher Höhe. Wie oft wandeln wir da an Abgründen hin, wie oft wird der Pfad durch ein unübersteiglich scheinendes Gebirge geschlossen, wie manchmal ist dem Auge jeder Ausweg verborgen! und wie plötzlich, ohne alle Vorahnung, thut sich dann ein Himmel statt ein Abgrund auf, wie oft schimmert Gottes grenzenlose Liebe wie eine blühende Aue da herein, wo wir an jeder Möglichkeit eines Fortkommens verzweifelten! – Wer hätte das Eine oder das Andere nicht schon erfahren? Wem hätte nicht, als irren Wanderer, wenn die letzten Kräfte ermatteten und verzagend über das Mißgeschick die Arme sanken, unerwartet das Glöckchen der Rettung getönt? Wem es aber nicht läutet, wem wirklich alle Auswege und alle Erdenpfade verschlossen bleiben: der schaue nach Oben mit erhobenen betenden Händen – und lacht ihm dann nicht das Aetherblau in das Herz hinein, knüpfet sich ihm nicht an die aufgegebene, vergängliche Erdenhoffnung die unvergängliche des Himmels: dann erst sage er, er sey verlassen, er sey elend. Aber er verklage darum nicht seinen Schöpfer. Nur die Schuld versteht es nicht, über den Schutt des Erdenlebens den festen Bau der Ewigkeit zu errichten – und nur das schwere Unrecht zieht den Menschen, wenn er die Arme um Trost gen Himmel streckt, immer wieder zur Erde nieder.