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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/46

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krystallene Fluth umschäumt. Airolo, im erweiterten Thalgrunde, ein freundliches, lebenvolles, nahrungsreiches Städtchen, nimmt den Reisenden gastlich auf und Camezzi’s vortreffliche Wirthschaft reicht nach der anstrengenden Bergwanderung jegliche Erquickung dar.

Vom Gotthardt bis Airolo sind’s 2 Meilen, und 2½ Meilen von da nach Faido, der nächsten Station. Auf dieser Strecke entfaltet sich noch einmal die große Alpennatur mit ihren Wundern. Die vortreffliche Kunststraße geht durch den Livinergrund an den malerischen Wasserfällen des Tessin vorüber, bald über Viadukte, bald über kühn gesprengte Brücken. Die Szenerien des Val Tremola sind berühmt. Schauerlich ist die Felsenschlucht bei der Zitterbrücke (Ponte Tremola), über welcher die Steinmassen bis an die Wolken steigen, während der Tessin mit ungeheuerm Sturz und einem auf Meilen weit hörbaren Donner die Tiefe aufsucht. – Bald nimmt die Natur wieder freundlichere Züge an. Das Thal wird breiter, die Felsen sind nicht mehr mit entwipfelten Tannen, sondern mit dichtbelaubten, edlen Kastanien bewachsen, und zu ihrem üppigen Laubdach bildet die Fernsicht in die blinkenden Schneethäler rückwärts, aus denen silberne Kaskaden und Staubbäche herabstürzen, einen angenehmen Kontrast. In einer Stelle sieht man deren acht auf einmal.

Faido ist ein freundliches, gastliches Dörfchen. Die Ufer des Tessins werden immer lachender und weiter abwärts sieht man jede kulturfähige Felsecke sorgfältig benutzt. Weinreben ranken an dem Gestein, und die Aprikose und die Pfirsich bieten mit fruchtbeladenen Aesten dem Wanderer Labsal.

Es naht die eigentliche Grenze Hesperiens. Bellinzona ist sein Thor, die nächste Station. Auf hohen Felsen, zu beiden Seiten der Straße, thronen und drohen zwei gewaltige Burgen; sie bewachen den Paß, einen Hauptschlüssel Italiens. Und hier, wo die Straße zwischen hohen Wallnuß- und Maulbeerbäumen hinzieht, an welchen die Weinrebe nachlässig von Stamm zu Stamm sich hinüber schlingt, wo die breitblättrigen Feigenbüsche die sonnigen Wände der Wohnungen bekleiden, verlassen wir den Beg und wünschen Allen, die ihn ziehen, der schuldlosen Freude volles Maß. –