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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/29

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CCCCLXXV. Lowther-Castle in Westmoreland.




Das Junkerthum ist die Fabel und der Spott der Zeit geworden. Die Thorheit des leeren Hochmuths auf adeliche Geburt, die Aufgeblasenheit hohler Eitelkeit, die anmaßliche Ueberschätzung blos konventioneller Vorzüge wecken unser Mitleid, und der Trödel äußerer Auszeichnung einer Kaste, welche im langweiligen Müßiggange der Höfe auferzogen ist, oder welche die höchsten Stellen, durch Privilegium, mit kahler, flacher, platter Gemeinheit, ohne Spur von rechter Würde, hoher Gesinnung und tüchtigem Geiste, einnimmt, erregt unsere Verachtung. Wo der Adel keine höhere Geltung ansprechen kann, als die, welche ihm Diplome, Hofkalender und Ordensverzeichnisse gewähren, da wird man ihn mit Recht als ein Aftergebilde, als ein widerliches Geschwür am Leibe der Zeit ansehen, daß, überreif, abgelöst zu werden verdient, damit das Ganze zur bessern Gesundheit erblühe. Solcher Adel stellt sich als ein innerer Feind des staatlichen Lebens dar; er ist ein Krankheitsstoff, die Ursache und zugleich das Zeichen des Siechthums. Er ist ein Unrecht, welches zu vernichten das Recht Beruf hat; er ist kein Band, sondern ein trennender, spaltender Keil zwischen Fürsten und Völkern, der herausgeworfen werden muß; er ist ein schädliches Element im Staatsleben, daß keine Gnade vor der Meinung findet.

Ehrwürdiger steht ein an Geist wie an Gütern reicher Adel da, der, eben so von der Gnade der Krone wie von der Gunst des Volks unabhängig, seine höchste Geltung durch persönliche Verdienste sucht. Einer Aristokratie, welche nicht blos Träger historischer Erinnerungen ist, sondern vielmehr Bewahrer der Ehre, des edeln Stolzes, der verständigen Würde und der unabhängigen Gesinnung in sicherem Selbstgefühl; einer Aristokratie, die, wie auf Besitz, so auf Tradition gegründet, unter dem Schirm freier Landesverfassungen, in ihrem Kreise von dem, was die Nation Ausgezeichnetes und Tüchtiges hat, ein reichliches Theil enthält; einer Aristokratie, welche erblichen Rang und Reichthum mit Fähigkeit und Willen zu allem Rechten, Großen und Gemeinnützigen paart; einer Aristokratie endlich, die es nicht unter ihrer Würde hält, durch Gewerbthätigkeit ihren Wohlstand zu vermehren und mit dem Bürgerstand den Wettlauf nach einem Ziele zu wagen: einem solchen Adel kann man sein gehöriges Maß von Ehre in allen Staaten gönnen.

England hat unter so vielen Vorzügen auch den, einen Abel zu besitzen, der seiner hohen Stellung, die ihm dort eingeräumt ist, seiner Mehrzahl nach nicht unwürdig ist. Er ist dabei unermeßlich reich. Um aber von