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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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Im Lande zwischen dem adriatischen und schwarzen Meere sind die Albanesen dasjenige Volk, welches die größte Fülle von Lebenskraft hat. Es ist ein Urvolk, und das Land, welches es bewohnt, ist sein Besitz seit undenklicher Zeit. Seine Sprache ist die Alt-Illyrische, versetzt mit Alt- und Neugriechisch, Latein und Italienisch, Türkisch und Slavisch. Auch ist durch sie die Stammverwandtschaft mit den Deutschen unzweifelhaft nachgewiesen. Unter 10,000 albanesischen Wörtern sind immer an 1000 rein germanischen Ursprungs.
Eine herrschende Rolle in der Geschichte haben die Albanesen nie gespielt. Erst mit Pyrrhus treten sie auf den geschichtlichen Schauplatz. Später finden wir Albanesen im großen Kampfe Mazedoniens gegen die Römer wieder. Als dieser mit völliger Unterwerfung endigte, wurde Rom’s Joch das erste, welches die freien Söhne des Gebirgs von fremden Eroberern trugen, und noch jetzt geben die im Lande zerstreuten Denkmäler und die Namen der meisten Städte ein Zeugniß von der langen Herrschaft der Siebenhügelstadt.
In der Zeit, wo deutsche Völker Westrom stürzten und Ostrom dem Untergange nahe brachten, erhielten sich in Albanien römische Bildung und Institutionen aufrecht; gebrochen wurden sie erst, als die slavischen Völker im 8ten und 9ten Jahrhundert in’s Land fielen, es verheerten und sich in demselben festsetzten. Ochris (Ochrida) wurde zu jener Zeit die Hauptstadt eines Bulgarenstaats, und bulgarische Häuptlinge herrschten bis nach Arkadien hin. Aber nach dem Sturze der Slavenherrschaft im Jahre 1018, die sich später nur auf kurze Zeit wieder erneuern konnte, traten die alten Völkerschaften wieder auf die Bühne, und das vom Comnenen Michael Angelus um jene Zeit gestiftete epirotische Reich fand in den Albanesen ein paar Jahrhunderte lang seine Stütze und seine Kraft, bis die Zeit kam, wo der Islam die Eroberung von Europa von Osten her versuchte, welche ihm von Westen her nur theilweise gelungen war. Der Osmannensultan führte seine wilden Schaaren über die thrazische Meerenge. Die kraftlosen Griechen konnten sie nicht aufhalten. Wie ein vom Sturmwind getragenes Hagelwetter überzogen und verwüsteten sie ganz Thrazien. Die slavischen Stämme, die hier feste Wohnsitze gewonnen hatten, erlagen nach kurzem Kampfe und die Thore von Albanien waren geöffnet. Aber das harte, unerschrockene Volk vertheidigte seine Schwelle viele Jahre lang, und erst nach gänzlicher Erschöpfung, des ferneren Widerstands unfähig, beugte es sich dem Schwerte der Ueberwinder.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/196&oldid=- (Version vom 6.3.2025)