Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/18

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
CCCCLXXIII. Göksu oder das Thal der süssen Wasser
bei Konstantinopel.




Seitdem ein Besuch Stambuls zu den gewöhnlichen Sommerausflügen aus dem Abendlande gehört, fehlen auch in der türkischen Hauptstadt die Einrichtungen nicht mehr, welche Bequemlichkeit und Vergnügungslust überall suchen, wohin die Schaaren der Touristen ihren Flug nehmen. In englischen, französischen, italienischen und deutschen Hotels findet in Konstantinopel ein Jeder, wenn er mag, heimathliche Einrichtung und Sitte, Sprache und Küche wieder, und Arndt’s Lieder schallen und deutscher Wein perlt im grünen Römer an den lachenden Ufern des Marmormeers so gut wie am Rhein. So sind auch für den Besuch der reizenden Umgebungen der Hauptstadt jetzt Omnibusse eingerichtet, und ein niedliches Dampfboot macht im Sommer regelmäßige und tägliche Fahrten nach den schönsten Punkten des Bosporus.

Eine solche Exkursion an einem schönen Sommermorgen ist in der That ein Fest. Auf dem Verdeck ist ein Zelt aufgeschlagen, der Mast ist mit Blumen geziert, der Rauch selbst erglänzt im Sonnenschein; ein Böllerschuß verkündet die Abfahrt, und zwischen zwei schäumenden Furchen tritt das Fahrzeug in des Bosporus herrliches Thor. Alle Gesichter sind heiter, alle Sprachen werden geläufiger; alle Augen sind nach den enger und immer enger zu einander rückenden Ufern beider Welttheile gerichtet. Sie liegen so nahe, daß man sie mit Händen greifen möchte.

Der Dämpfer schwebt dahin wie ein Vogel; wie ein Schattenspiel ziehen rechts und links die Städte und Flecken, die Dörfer und Landhäuser, die Schlösser und Ruinen vorüber. Dabei hat man vom Verdeck aus einen Rückblick auf Konstantinopel, welcher entzückt. Die stolze Stadt entfaltet ihre ganze Pracht. Ihre Stirne erhebt sie in einer strahlenden Atmosphäre, während sie ihren Fuß im Marmormeere badet. Deutlich unterscheidet man ihre Hauptgebäude: das Serail mit seinem Mauerkranze, den hehren Dom der Sophienkirche, den schlanken Wald der Minarets, die Kuppeln der Moscheen, die Säulenmonumente, die Thürme der Befestigungen, den Mastenwald des Hafens und die von jeder Höhe, jedem Vorgebirge heraushängenden Villen und Paläste. Es ist wahr, Nichts verkündigt den Orient auf eine großartigere Weise, als dieses Byzanz.