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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/163

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CCCCLXXXXIX. Pont-y-Monach, die Teufelsbrücke, in Wales.




Im hochkultivirten England tritt die Kunst an die Stelle der Natur. Kaum ist noch eine Landschaft dort aufzufinden, in welcher die große Bildnerin ihre Werke ohne künstliche Zuthat zur Schau stellt. Die Szenerien der Parks, ihre Felsthäler und Wasserstürze, die tiefen Gründe der Wälder, die heimlichen Seen im Schooße der Berge, sie sind öfters nichts weiter, als mehr oder minder geschickte Nachahmungen von Werken der Natur, und man bewundert sie, wie man die Pracht der Dekorationen einer Bühne bewundert. Anders in Wales. Hier zeigt sich noch die Natur in jungfräulicher Herrlichkeit. In den welschen Gebirgen umfängt noch den Wanderer die tiefe Nacht des Urwalds, es strecken die Felsen, wie in meinen lieben Thüringer Bergen, ihm die bemoosten Häupter grüßend aus den Zweigen entgegen, es tosen schäumende Bergwasser aus den Schluchten herab, plaudernde Bäche murmeln durch friedliche Gründe, rieselnde und träufelnde Quellen spielen mit den Blumen der Felswand, glänzende Bergwiesen leuchten durch das Laub der Büsche, und auf goldenen, elastischen Matten weiden läutende Heerden zwischen umhergestreutem Gestein. In Wales kann man noch in stundenlangen, romantischen Gründen schlendern, ohne eine Wohnung anzutreffen, oder auf schmalen Pfaden ein anderes Wesen zu sehen, als das flüchtige Reh oder das aufgeschreckte Birkhuhn. Selten verlassen die sommerlichen Schwärme der dem Pittoresken nachjagenden Touristen die fahrbaren Wege, und die Guides, welche das Ceremonienmeisteramt der welschen Natur ausüben, zeigen dem Fremden nicht den hundertsten Theil der Schönheiten, welche das Land, und namentlich der schwerer zugängliche Theil der Gebirge, in seinem Schooße birgt. Ein Glück, daß es so ist; denn wären dem Gentleman-Touristen Alt-Englands alle Naturherrlichkeiten dort so leicht zugänglich, als in seiner Heimath, so würde er das Land viel häufiger zu seinen Wohnsitzen erkiesen, als bis jetzt geschehen ist; er würde, wie in England, einen Schlagbaum und eine Lodge an jedes malerische Gründchen stellen, jeden schattigen Wald einhägen, und auf jeden Berg und jede Höhe mit freier Aussicht ein Castle bauen. – Bis jetzt ist dies, einzelne Districte ausgenommen, unterblieben. Wales ist zur Zeit weit mehr ein Asyl, als eine fashionable Niederlassung für die britische Aristokratie und den Reichthum. Gentlemen, welche in ihren Vermögensumständen herabgekommen sind, sie domiziliren sich öfters in Wales, wenn sie den Boden von Alt-England zu theuer finden; denn dort lebt man viel