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Seite:Meyers Universum 11. Band 1844.djvu/134

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Unter den Bäumen stehen eine unzählige Menge Strohstühle neben einander gereiht. Es sind Lehnstühle, Tausende sitzen darauf; auch wir nehmen Platz: aber kaum haben wir uns niedergelassen, so kömmt eine Frau, um 2 Sous als Lehnspflicht einzufordern. Das Recht, Stühle zu vermiethen, ist verpachtet und es erträgt dem Könige im Jahre 40,000 Franks. Eine bürgerlich-einfach gekleidete Frau geht vorüber und fordert Kupfergeld ein; sie trägt Etwas verdeckt und achtsam unter ihrer weißen Schürze. Bettelt sie für einen Säugling, den sie mütterlich gegen Wind und Sonne schützt? Nein! sie bedeckt mit ihrer Schürze nur eine Art Gebackenes, das so leicht ist, wie gebackene Luft. Es heißt: Plaisirs des Dames. Das muß schnell und verhüllt herumgetragen werden, daß es nicht kalt werde. „Des Plaisirs, mes Dames! Des Plaisirs!“ ruft sie im Fluge, und wie im Traume schwebt sie vorüber.

Wir Männer gehen leer aus – wie mag einer Plaisir des Dames fordern? Doch dort steht eine Reihe Buden, Männer in dichten Schaaren umgeben sie: – dort verkauft man wohl Plaisirs des Messieurs, denken wir, und lüstern treten wir heran. Wir täuschen uns nicht, – bloß der Magen ist der Betrogene. Zeitungsbuden sind es – alle Journale und Zeitungen von Paris liegen da, frischbacken, naß von der Presse weg. Jeder nimmt ein beliebiges Blatt und geht lesend spazieren, so lange es ihm gefällt. Bringt er das Blatt zurück, so bezahlt er einen Sou. Wir gehen und kommen, drei, vier Mal, fünf Mal: – hm! immer noch steht derselbe wohlgekleidete Mann da, der schon vor 2 Stunden, im Lesen vertieft, dort gestanden. Es ist ein Lauerer, ein Mann der Polizei, der sich an die Quelle der Ueberraschung lagert und daraus jeden Tag die Meinung der Zeitungsleser schöpft; denn wenige Franzosen können mit dem Munde schweigen; mit den Blicken aber, mit den Mienen, Händen und Füßen, daß vermag keiner.

Der Garten wird auf beiden Seiten, seiner Länge nach, von zwei gemauerten Terrassen begrenzt. Die eine, längs der Seine, gewährt eine herrliche Aussicht auf den Strom, auf die Brücke und den Palast der Volksdeputirten. Die andere Terrasse führt der Straße Tivoli entlang und heißt die Terrasse des feuillans, weil bis zur Revolutionszeit das Kloster des feuillans da gestanden. In diesem hatte die Nationalversammlung ihre Sitzungen. Am Fuße jener Terrasse, da, wo sie, sich senkend, in Gestalt eines Hufeisens ausgeht, innerhalb des Kreisschnittes, liegt ein Platz, mit Stühlen und Bänken versehen. Man heißt ihn la petite Provence, weil die Mittagssonne, deren Strahlen sich frei und ungehindert an der Mauer brechen, dort eine Wärme verbreitet, welche selbst an hellen Wintertagen noch an jene südliche Provinz Frankreichs erinnert. Da ist der tägliche Sammelplatz vieler hundert Kinder mit ihren Müttern oder Wärterinnen, und wer des Pariser Kunstlebens voll und satt ist, kommt hierher, sich an der reinen Kinderwelt zu erfrischen. Aber auch diese Erquickung ist matt. Zu verderben war zwar die Kindernatur nicht; aber in Paris steckt sie in einem verzierten Etui, und wer sie haben will, muß