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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band |
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In der Ewigkeit ist ein Jahrhundert wie eine Stunde, und ein Jahrtausend wie ein Tag. – Was wir Alterthum nennen, ist der Zustand von gestern, und was wir groß und erhaben heißen von Menschen und von Werken der Menschenhand: – wie Sonnenstäubchen fliegt’s von dannen und andere Sonnenstäubchen ziehen ihnen nach. Aber wenn auch alle Erdengröße nur Schein ist und leerer Wahn, wenn auch im unendlichen Raume nichts absolut groß erscheinen kann, außer die Unendlichkeit selbst und außer Gott, – (denn der sichtbare Sternenhimmel wird da zum Punkte, und eine Milchstraßenbahn zu einer Spanne!) – so ist es doch in der geheimnißvollen Natur des Menschen tief begründet, daß er so gern an seinem kleinen Ich Großes sucht und in den vergänglichen Werken seiner Hände seine Apotheose feiert.
Darum wird er auch stets mit besonderem Wohlgefallen das Alterthum betrachten. Die Zeit hat hier Alles auf den Kothurn gestellt, die Jahrtausende liegen wie Vergrößerungslinsen auf Menschen und Thaten, Werken und Zuständen. Es wirkt hier eine optische Täuschung in umgekehrtem Verhältniß, deren Vortheil die Gegenwart entbehren muß.
Jene Lust an der Betrachtung und an der Bewunderung des Alten schickt die civilisirte Welt wallfahrten nach Griechenland und Italien. Rom allein ausgenommen, ist in diesem letzteren Lande keine Gegend für den Alterthumsfreund anziehender, als die um Pozzuoli, und keiner darf sie unbesucht lassen, der sich das Bild der alten Italia vervollständigen will. Die alten Bauwerke bestehen zwar nur noch in Ruinen und viele liegen begraben im Meere: – denn bald brennend, bald fluthend arbeiten bier chaotische Kräfte an ihrer Zerstörung; was aber davon sichtbar ist, beweist, daß Das, was Sueton und Tacitus über die Größe, Pracht und Verschwendung der Römer bei den Bauten ihrer Landsitze berichteten, keine Fabel sey. In den aus ihren Gräbern erstandenen Städten Pompeji and Herkulanum lernt man das häusliche Leben und den Baustyl des römischen Bürgers in der Provinz kennen; die Ruinen um Pozzuoli muß man aber sehen, um das Leben der Kaiser und der Großen der Siebenhügelstadt zu erforschen.
Von Griechen aus Samos gegründet, im zweiten punischen Kriege von den Römern unterworfen, dann zum Lieblingswohnort ihrer Vornehmen erkoren, – erwarb sich Pozzuoli in der Kaiserzeit den Beinamen:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Elfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1844, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_11._Band_1844.djvu/103&oldid=- (Version vom 3.3.2025)