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Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/96

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CCCCXXXXI. Die Basteifelsen bei Dresden.




Ein Bild aus der sächsischen Schweiz. Majestätisch wogt der breite Elbstrom zwischen den zerrissenen Felswänden den Marken Böhmens zu.

Die Bastei ist die Glanzpartie dieser interessanten Gegend, und sie ist, trotz ihrer Entfernung, ein Vergnügungöort der Bewohner Dresdens, die in der schönen Jahreszeit, zumal des Sonntags, in großen Schaaren herkommen, um eine herrliche Natur zu genießen, oder um gesehen zu werden. Gewöhnlich wird die Basteifahrt zu Wasser gemacht; rathsam ist es dann, bei Ottowalde auszusteigen und den übrigen Weg zu Fuß zu machen. Von da ist’s zur Bastei noch eine halbe Stunde. Der Pfad geht durch eine schmale Thalschlucht, die Kluft genannt, und ist herrlich. Hohe Felswände, mit Flechten und Moosen üppig bewachsen, ragen thurmhoch zu beiden Seiten auf, oft hängen sie über, oft scheinen ihre Firsten einander zu berühren, so daß das Himmelsblau nur durch schmale Ritze sichtbar wird. Auf halbem Wege steht, unter hoher Felswand, ein einfaches Kreuz, das Maal einer tragischen Begebenheit. Eine reiche, fremde Familie kam vor mehren Jahren mit ihrem einzigen Sohne, einem Knaben von 15 Jahren, in diese Gegend. Beeren suchend, kletterte derselbe die Felswand hinan. Die Eltern glauben, er habe einen nähern Fußpfad eingeschlagen und beruhigen sich, als sie ihn missen, mit dem Gedanken, er werde sie auf der Bastei mit seinem Willkommen! überraschen wollen. Sie langen an: der Knabe ist nicht da, Niemand hat ihn gesehen. Besorgt eilen sie den Weg zurück, vergeblich tönt ihr Ruf durch die Felsen. Der Abend kömmt – schon sind alle Schluchten durchsucht – verzweifelnd sinkt die Mutter ihrem Gatten in die Arme. „Komm, setze dich in den Schatten der Rosenhecke und ruhe aus; ich will allein suchen!“ sagte der Vater und führte die Gattin zu dem blühenden Busch. Sie biegt ahnungsvoll einen Zweig zurück: da liegt der Knabe mit zerschmettertem Haupte vor ihr, die blonden Locken steif von Gehirn und Blut. Der Schreckensanblick macht sie wahnsinnig. Sie muß auf den Sonnenstein gebracht werden, und erst nach drei langen Jahren führt sie der barmherzige Gott dorthin, wo sie ihren Knaben wieder findet. Der Vater wird schwermüthig; einige Wochen besuchte er jeden Morgen den Platz an der Rosenhecke, wo das Kreuz steht; – einmal bleibt er aus: Niemand weiß, was aus ihm geworden. –