Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/31

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Stadt selbst. Letztere ist ausgedehnter und verzweigter als die manches Königreichs; denn Paris hat ein Budget von 55 Millionen Franken, also größer als das Budget Bayerns.

Der Sitz der Verwaltung ist das hôtel de ville, das Rathhaus, ein alter, stattlicher Bau noch aus Franz des Ersten Zeit. Es steht am Greveplatz, der auf zwei andern Seiten mit Gebäuden umschlossen ist, seine vierte aber frei der Seine zukehrt.

Auf diesem Platze wimmelt eine Welt von Ereignissen und jeder Pflasterstein erzählt von einer großen oder schaudervollen Begebenheit. Die furchtbarsten Erinnerungen der Revolution drängen sich an dieser ihrer Richtstätte zusammen. Die entsetzlichsten Thaten, die größten Katastrophen, die größten Umwälzungen, die größte Hingebung, die ärgste Schuld, die vollendetste Bosheit, das schauderhafteste Verbrechen, – alle Tugenden und alle Niederträchtigkeiten sind abwechselnd über diese Bühne gegangen. Wenn du auf dem Greveplatz stehst, stehst du gleichsam im Mittelpunkt der neuern Geschichte; du siehst weltbewegende Begebenheiten über dir, um dich, unter dir, alle treibend, oder getrieben, alle brütend und mit Fortwirkung ohne Ende.

Das Pariser Rathhaus steht hier ganz an seinem Platze; denn welche Szenen haben seine Säle gesehen, welche Begeisterung und Aufopferung für das Herrlichste und Edelste auf Erden, und welche Auftritte cannibalischer Mordlust, teuflischer Intrike und superlativer Thorheit! An jenem Mittelfenster wurde Ludwig XVI., nachdem ihn der Pöbel von Versailles geholt hatte, dem Volke vorgestellt als neuer Kustos der jungen Freiheit, und an demselben Orte präsentirte Lafayette den Ludwig Philipp als – die beste Republik! Hier hatte die Revolution ihr Hauptquartier viele Jahre. Hier saß sie zu Gericht und stürzte ihr blutiges Beil auf Schuldige und Unschuldige herab; hier machte sie ihre Verwandlungen, hier wurde sie geschändet und verrathen, hier verkauft und verhandelt; hier hat man die Freiheit als Sklavin dem Kaiserthum überantwortet, das Kaiserthum der Restauration geopfert und diese der zweiten Revolution. Wenn man die Gesetzgebung in die Narrenhäuser verlegte, Aergeres könnte nicht zu Tage kommen, als aus diesem Hause hervorging. 1793 beschloß die Stadtgemeinde, die Pariser Zuckerbäcker sollten bei Todesstrafe ihre Süßigkeiten ohne Zucker backen; denn Zuckergebackenes mache aristokratische Gesinnung; ein anderes Dekret des Gemeinderaths erklärte alle Personen für des Royalismus verdächtig, welche bei den Speisewirthen nur die Kruste vom Brode äßen, und die Krume liegen ließen; ein anderes Dekret in demselben Jahre beschuldigte des Aristokratismus alle Haarkräusler, welche das Haar der Guillotinirten kaufen würden, um Perücken daraus zu machen, und wer von einem Hingerichteten Haare auf seinem Kopfe trüge, der solle selbst zur Guillotine. In Folge dieser und ähnlicher Gesetze wurden noch an denselben Tage 7090 Personen eingezogen. Am 21. Floreal des nämlichen Jahres wurde beschlossen, ein Ehrenprotokoll darüber aufzunehmen, daß man 1687 Franzosen guillotinirt habe; und in dem nämlichen Jahre wurde der Beschluß gefaßt,