Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/243

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Anblick, nicht zu ertragen. Und doch wohnt in diesen Unglücklichen eine Seele, unsterblich wie deine eigene. – Ich verstehe die Thräne in deinem Auge und lege die Feder nieder.




CCCCLXX. Die grosse Moschee in Brussa.




Brussa war vor der Eroberung Constantinopels die Hauptstadt des Türkenreichs und die Residenz der Padischah’s vom Stifter der Dynastie, Osman I., an, der hier begraben liegt. Sie hatte eine Viertel-Million Einwohner; in ihren Mauern waren die Reichthümer angehäuft, welche die Herrscher im Laufe der Jahrhunderte durch die Plünderung des halben Orients erbeuteten. Jene Tage des Glanzes und der Größe – sie sind längst vorüber. Seitdem Brussa auch aufgehört hat, der Hauptsitz der Seidenweberei zu seyn und Lyon an dessen Stelle trat, seitdem die Zahl seiner Webestühle von 40,000 bis auf 2000 herabgesunken ist, nimmt die Stadt jährlich ab an Bevölkerung, Leben und Wohlstand, und das Labyrinth seiner engen und schmutzigen Gassen zählt kaum noch 70,000 Bewohner.

Die Moscheen Brussa’s darf jeder Europäer ohne Ferman betreten. Diejenige, welche vorzugsweise die „große“ heißt, ist ein Muster maurischen Baustyls. Sie steht im Mittelpunkte der Stadt und drei Sultane theilen sich in die Ehre ihrer Erbauung: Murad I., Bajazid I. und Mohamed I. Das Innere des Gebäudes ist von Marmor, und der Hauptraum wird von einer herrlichen Glaskuppel überdacht, um welche herum neunzehn kleinere sich wölben. Unter der Hauptkuppel steigt aus einer Fontaine von parischem Marmor krystallhelles Wasser in Strahlen empor, in denen sich das von oben hereinfallende Sonnenlicht mit allen Farben bricht und spiegelt. Das magische Farbenspiel und das Wassergeplätscher verleihen dem Tempel einen heitern, zur innigen Andacht stimmenden und zu heitern, menschlichen Gefühlen ermunternden Charakter, von denen man in den düstern Kirchen der Christen keine Spur findet. – Darum läßt auch der zum Gebet rufende Muezzim nie vergebens sein „Es ist nur ein Gott und Mohamed sein Prophet! Kommt zum Gebet, kommt zur Seligkeit!“ vom Minaret erschallen; fünf Mal geschieht es täglich, und immer füllt sich der heitere Tempel mit den Schaaren der Andächtigen.