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Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/169

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CCCCLVI. Turin.




Der Zeichner dieses schönen Bildes verseht uns auf den Mont Superga, auf jene in der alten Geschichte berühmte Stelle, wohin Hannibal, nach dem Zuge aus Afrika durch Spanien und Gallien, Karthago’s ermattete Heere führte, um ihnen die reichen römischen Provinzen zu zeigen. Und fürwahr! der Blick von diesem Punkte ist ganz geeignet, ein beutelustiges, nach Eroberung trachtendes Heer zu entzücken. Man übersieht die ganze Ebene von Piemont und der Lombardei, einen Landstrich von größter Fruchtbarkeit, durchschlängelt vom gelben Po, eingefaßt von der weißen Kette des Hochgebirgs und besäet mit Städten und Ortschaften, Schlössern und Landsitzen, so weit das Auge dringen und unterscheiden kann. Zunächst in dieser Landschaft liegt das prächtige Turin mit vielen Kuppeln und Thürmen, und streckt seine mit schlanken Pappeln bepflanzten Heerstraßen wie so viel Arme in alle Weltgegenden aus.

Turin ist eine der schönsten und ältesten Städte von Europa. Als Hauptstadt der Ligurier spielte sie schon in der Frühgeschichte Roms eine Rolle; sie war Hannibals erste Eroberung auf römischer Erde nach Uebersteigung der Alpen. Kriegsstürme verwüsteten sie kurz nachher gänzlich; in der Cäsarenzeit sandten die Römer eine Kolonie dahin zum Wiederaufbau der Stadt, und fortan hieß sie Taurinorum. Als das Reich verfiel, war sie Gothen, Vandalen, Hunnen abwechselnd preisgegeben. Sie wurde vielmal geplündert und verwüstet, und im 6ten und 7ten Jahrhundert hing ihr Name nur noch an einem Haufen Ruinen. Ihr Leben war hin, bloß der Schatten war noch übrig. Erst als die Herzoge von Burgund mächtig wurden, wuchs aus den Trümmern wieder eine Stadt hervor. Bedeutend wurde sie, seitdem Karl I. sie zur bleibenden Residenz der savoyischen Fürsten erkor, und mit Emanuel I. trat sie in die Reihe der Großstädte Europa’s ein. Diese Skizze ihrer Schicksale macht auch den Mangel von Denkmälern aus der klassischen Zeit und an großartigen Gebäuden aus dem Mittelalter erklärlich. Turin’s Bauwerke gehören den neuern Zeiten an.

Die schöne Lage der Stadt ist der von Dresden ähnlich. Wie dieses ist sie in ein breites Stromthal gebettet und umgeben mit reizenden Hügeln, welche Weinberge, Obsthaine, Lustgärten und Landhäuser tragen. Der schöne Po krümmt sich um die eine Stadthälfte, zwar nicht so mächtig als die Elbe, aber doch mit Nachen und Fahrzeugen belebt. – Die Anlage Turin’s ist regelmäßig. Seine geraden Straßen durchkreuzen