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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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salzigen Gesteins an den Wänden und Decken immer mehr vergrößern; die unteren Stollen führen die mit Salztheilchen gesättigten Gewässer (die Soole) wieder ab. Man nennt jene Weitungen Stockwerke oder Sulzenstöcke und sie wachsen allmähiig zu einer ungeheuern Ausdehnung an. Man hält sie so lange im Betrieb, als es überhaupt möglich ist. Werden sie endlich verlassen, so incrustiren im Laufe langer Zeit die Wände mit reinen Salzkrystallen und sie bieten in diesem Zustande bei Fackelbeleuchtung jenen zauberhaften Anblick dar, der die Bewunderung der Reisenden ausmacht. Die Zeit, welche das durch den obern Stollen in den Berg geleitete süße Wasser nöthig hat, um sich in brauchbare Soole zu verwandeln, ist hier sechs bis sieben Wochen. Zu Hallein sind drei Wochen ausreichend; da ist das Gebirge an Steinsalz reicher.
Man sieht ein, daß die Salzgewinnung in den Salzbergen der Alpen keineswegs leicht ist, und daß sie dort mit großen Kosten und vieler Mühe das künstlich thun muß, was in den Soolquellen die Natur anderswo selbst besorgt. Die Hallstadter Saline unterhält eine Knappschaft von 230 Mann blos für den Betrieb der bergmännischen Arbeiten, welche die Salzwerke erfordern, und ihre Produktion übersteigt doch nicht 120,000 Centner im Jahre. Gegenden, wie z. B. das nördliche Deutschland, welche an Soolquellen reich sind, haben daher jene Alpengegenden mit ihren ungeheuern Salzbergen nicht zu beneiden. Auch sind diese keineswegs unerschöpflich. Der Salzberg bei Ischl wird in 300 Jahren ausgebaut seyn; der bei Hallstadt in der doppelten Zeit. Was ist aber ein halbes oder ganzes Jahrtausend für die Dauer der Erde, oder der Menschheit?
Hallstadt, eine echte Gnomenstadt, liegt von himmelhohen, senkrecht aufsteigenden Bergen umgeben, in einem Kessel am See, dem die Alpen aus tief eingefurchten Schluchten ihre Gewässer zuführen. Drei Wintermonate lang fällt kein Sonnenstrahl auf Hallstadts Dächer und wenn die Schneestürme die Wege und Pässe zuwehen, ist wochenlang das Städtchen abgeschnitten vom Verkehr mit der übrigen Welt. Dagegen wimmelt es im Sommer von Reisenden und den Badegästen des nahen Ischl, welche die Merkwürdigkeiten, oder die erhabenen Schönheiten einer Gegend anziehen, über welche die Alpennatur ihr Füllhorn reichlich ausgegossen hat.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/104&oldid=- (Version vom 8.2.2025)