Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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sich und seine Hoffnungen hinüber rettet in das transatlantische Jenseits, wo Das, was diesseits im glücklichsten Fall seinen Kindern und Enkeln werden kann, er selbst jetzt schon zu finden gewiß ist. –
Albany, nach New-York die größte und schönste Stadt im gleichnamigen Staate der Nordamerikanischen Union, liegt, sich malerisch an einen Hügel hinauf rankend, bei’m großen Canale, jenem Wunderwerke der neuen Welt, der in einer Strecke von 500 englischen Meilen New-York mit dem Eriesee und dem Ohio und dadurch mit 10,000 Meilen schiffbaren Wasserstraßen, die bis in den äußersten Westen des Reichs sich verzweigen, in Verbindung setzt. Seine Entfernung von New-York beträgt 150 englische Meilen, welche man auf den täglich mit mehr als 1500 Reisenden hin- und hergehenden, mit Musikchören besetzten 12 Dampfbooten, trotz 12maligen Anhaltens an den zwischenliegenden Städten, in etwa 8 Stunden und für 2½–3 Dollars zurücklegt! Noch vor 35 Jahren war diese prachtvolle Stadt ein Blockhausdörfchen; 1815 zählte sie 8000, jetzt bereits 30,000 Einwohner. Sie ist der Mittelpunkt des Handels zwischen den Seestädten und den nördlichen Unionstheilen und der Sammelplatz der in diesen Ansiedelung suchenden Auswanderer. Ihr Verkehr beschäftigt an 1000 Fahrzeuge und der Umsatz wird auf mehr als 60 Millionen Dollars jährlich geschätzt. – Sie hat ein Theater, öffentliche Bibliothek, hohe Schule und 28 Kirchen und Bethäuser für fast eben soviel verschiedene Glaubensbekenntnisse; denn in diesem Reiche der Freiheit und des Ueberflusses herrscht auch die größte Mannichfaltigkeit im Gebiete der Religion. Einförmigkeit ist der Wahlspruch des Despotismus, einförmig ist der Winter, der arme Norden und das Grab: aber in mannichfaltigen Gestalten erscheint der schöne Frühling, der reiche Sommer, der fruchtbare Süden, das fröhliche Leben. Darum ehren wir freudig den freien Glauben der freien Menschen da drüben, der auf hundert Wegen sich einem Ziele nähert! Warum wolltest du auch den Bruder verdammen, der mit gefalteten Händen zu dem Gotte der ewigen Barmherzigkeit fleht, weil die deinigen sich über der Brust voll Andacht kreuzen? Der Indianer, der sich gegen Osten wendet, um in der aufgehenden Sonne die wohlthätige Wirksamkeit des ewigen Weltgeistes anzubeten, der Jude, der sich gegen Abend neigt, um den Vater der Schöpfung für das Geschenk des durchlebten Tages zu danken; der Christ, der in sternheller Nacht gerührt niedersinkt und zum funkelnden Firmament sein „Vater!“ stammelt: was suchen alle diese anders als das Auge des Ewigen in den Sternen, das Auge der Liebe, Güte und Barmherzigkeit gegen alle seine Geschöpfe? Und doch verfolgen sich im Meinen, Glauben und Hoffen oft so feindselig die Menschen. Wahrlich! ist das kein Wahnsinn, so gibt es überhaupt keinen auf der Erde. – –
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/175&oldid=- (Version vom 10.6.2024)