Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller | |
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neuen Burgtheaters, der allgemeinen Unzufriedenheit mit dem Sehen und Hören darin Ausdruck zu geben. Entweder ein neues Haus oder den Zuschauerraum umbauen, »daß kein Stein auf dem anderen bleibt!« so radikal sprach er das Wort des Augenblicks aus. Und der Zuschauerraum wurde umgebaut, die berüchtigte »Lyraform« beseitigt, die Höhe freilich mußte bleiben; diese Überarbeitung kostete eine halbe Million Gulden.
Auch mit der Geschichte des Burgtheaters hat sich Sp. wiederholt beschäftigt. Seine Parallele: »Holbein und Laube«, zwei große Aufsätze, ist von diesem Schlage. Während aller dieser Direktionen und Umstürze – Laube, Dingelstedt, Wilbrandt, Förster, Burckhard – stand er auf seiner hohen Warte, fern und doch nah, von Direktion zu Direktion an Gewicht wachsend, immer gefürchteter und umworbener, aber unter all den Verlockungen die Würde seines Amtes unverbrüchlich wahrend. Bei besonderen Anlässen griff er hilfreich ein. Als Dingelstedt 1879 Grillparzers »Weh dem, der lügt«, das von den Wienern einst so verhängnisvoll abgelehnte, wieder aufführte, hieß es dem Publikum vorher einen Wink geben. Dies tat Sp. am Morgen der Aufführung, in Ernst und Kürze, und abends wagte kein Zuschauer, den »dummen Galomir« dumm zu finden. Und wem hätte er solchen Liebesdienst lieber getan, als dem großen Wiener Dichter, der seiner Zeit so weit vorausgekommen war, daß erst die Nachwelt ihn einholen konnte? Die schönsten Bilder gehen ihm auf, wenn er an ihn denkt. In dem Feuilleton: »Aus dem Zeitalter Franz Josefs«, zum Fünfzigjahrfest des Kaisers (1898) vermengt er visionär Grillparzer mit Rudolf II. im »Bruderzwist von Habsburg«, in dem so viel Selbstbildnis des Dichters steckt: »Da kommt einem der Dichter so märchenhaft vor, wie ein verwunschener Habsburgischer Prinz, der bei Tage zum Archivdirektor der Hofkammer verdammt sei und nachts Erinnerungen an seine glänzende Vergangenheit niederschreibe.« Und auch für andere edle Wiener Dramatiker hatte er ein Herz. Kam doch immer wieder einer und pochte an die gestrenge Pforte des Burgtheaters um Einlaß. »Warum denn nicht, wenn man ihn spielen kann!« sagte er mir einmal, als der »Verschwender« burgtheaterfähig werden wollte. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Sie können ihn freilich nur mehr oder weniger spielen, und eher weniger. »Wenn es in Wien einen Dichter gegeben hat, so ist es Raimund gewesen«, schreibt er einmal. Auch für Anzengruber tritt er ein, immerhin bedingt; samt Mundart. »Wir denken schriftdeutsch, aber wir fühlen in der Mundart.« Er hielt ihn als Dramatiker sehr hoch. »Solange Anzengruber geschrieben, hat kein anderer deutscher Dichter gediegeneren Inhalt in dramatische Formen hineingelegt.« Freilich, wiederum die Unzulänglichkeit eines Theaters, an dem immer nur der eine (Mitterwurzer, allenfalls Kainz) oder die andere (Schratt) dem Dichter gerecht werden konnte. »Ihn im Burgtheater aufzuführen, hätte einen Sinn, wenn es den anderen Theatern Musteraufführungen bieten könnte.« Auch »Der Kampf um das vierte Gebot« fand Sp. natürlich auf Seite des Dichters. Wenn einst die Schriften Sp.s gesammelt vorliegen, wird es voraussichtlich Monographien über ihn regnen. Dann wird es auch an der Zeit sein, ihn in seinem Verhältnis zum Burgtheater gerecht zu würdigen. Und zu Shakespeare, den deutschen Klassikern, den Modernen, was ja alles urkundlich zu belegen sein wird. Mein kurzer Abriß kann sich nur auf Andeutungen
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)