kurzen, – d. h. mehrerer kurzen poetischen Wirkungen. Es ist unnöthig nachzuweisen, dass ein Gedicht nur insofern ein solches ist, als es, die Seele erhebend, dieselbe intensiv erregt; und alle intensiven Erregungen sind einer physischen Nothwendigkeit zufolge von kurzer Dauer. Aus diesem Grunde ist mindestens die Hälfte des „Verlorenen Paradieses“ ihrem Wesen nach Prosa, – eine Reihenfolge poetischer Erregungen, naturgemäß mit den entsprechenden Abspannungen untermischt, – und dem Ganzen entgeht wegen seiner übergroßen Länge das höchst wichtige Element eines Kunstwerks: der Totaleindruck oder die Einheit der Wirkung.
Es scheint also einleuchtend, dass es für alle literarischen Kunstwerke, was ihre Länge betrifft, eine bestimmte Grenze giebt – die Grenze, ihre Lektüre auf einmal beenden zu können, – und dass man diese Grenze, obschon sie bei gewissen Klassen prosaischer Schöpfungen, wie „Robinson Crusoe,“ (wo keine Einheit erforderlich ist), ohne Nachtheil überschritten werden mag, bei einem Gedichte füglich nie überschreiten darf. Innerhalb dieser Grenze stehe die Länge eines Gedichts in mathematischem Verhältnis zu seinem Werthe, – mit anderen Worten: zu der Erregung oder Erhebung, – und noch anders ausgedrückt: zu dem Grade echter poetischer Wirkung, den es hervorzubringen im Stande ist; denn es liegt auf der Hand, dass die Kürze in direkter Proportion zu der Intensität der beabsichtigten Wirkung stehen muss, – und zwar mit dem einzigen Vorbehalt, dass ein gewisser Grad von Ausdehnung unbedingt nöthig ist, um überhaupt eine Wirkung hervorzubringen.
Indem ich sowohl diese Erwägungen wie jenen Grad von Erregung im Auge behielt, der mir nicht über dem Niveau des volksthümlichen, aber auch nicht unter dem Niveau des kritisch gebildeten Geschmacks zu liegen schien, fand ich sogleich die, meiner Ansicht nach, geeignete Länge für mein
Adolf Strodtmann: Lieder- und Balladenbuch amerikanischer und englischer Dichter der Gegenwart. Hoffmann & Campe, Hamburg 1862, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lieder_und_Balladenbuch-Strodtmann-1862.djvu/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)