„Darum?“ Tiefes Erstaunen lag in ihrer Frage.
„Ach nein, – ich drücke mich ungeschickt aus, nicht, weil Sie mich geküsst haben ... ach – das hätte mich ja so glücklich gemacht, so überglücklich – – –“
„Sondern?“
„Sondern weil Sie mich nicht dabei angesehen haben! Sie schlossen die Augen ...“
„Ich schloss die Augen – – –“
„Ja, um nicht mein Gesicht zu sehen, – mein abscheuliches Gesicht!“
Sie schwieg.
Aber in ihr Gesicht trat ein Ausdruck, halb Wehmut, halb Lächeln, – als ob sie dächte: Du Kind, Du grosses Kind!
„Sie antworten mir nicht!“
„Nein. Jetzt nicht!“
Nach einer Pause:
„Trinken Sie heute Nachmittag bei mir den Thee, Ludwig. Kommen Sie um 5 Uhr ...“
Er zögerte. Mit Entzücken hatte er es aufgenommen, dass sie ihn Ludwig nannte.
Sollte er hingehen? Konnten nicht neue Enttäuschungen seiner warten?
Hennie Raché: 'Liebe. Roman'. G. Müller-Mann’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1901, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebe_(Hennie_Rach%C3%A9).djvu/50&oldid=- (Version vom 10.11.2016)