„Bitte, bleiben Sie sitzen,“ sagte sie ruhig und zog sich einen Sessel heran. „Da ich Sie ja doch in Ihren Träumen gestört habe, werde ich Ihnen Gesellschaft leisten. Sie waren so allein und sahen so leidend aus!“
„Ich bin immer allein,“ murmelte er, und wusste nicht, warum er das sagte.
Er kam sich hilflos vor wie ein Kind, denn ihre Nähe verwirrte und berauschte ihn.
„Sie auch?“
„Auch?“ er fragte es ganz erstaunt. Konnte ein so schönes Wesen allein sein, – einsam?
„O,“ sagte er plötzlich, „ich würde Sie nie allein lassen!“
Sie sahen sich an, und dann lachten sie beide.
Die sonderbare Situation und das Ungewöhnliche und Formlose ihrer Bekanntschaft kam ihnen plötzlich zum Bewusstsein. Sie errieten gegenseitig ihre Gedanken.
„Ich thue immer, was mir so unversehens einfällt,“ sagte sie halb entschuldigend, „und ich dachte, Sie seien krank, weil Sie so leidend aussahen!“
„Meine Seele litt,“ – – erwiderte er leise.
Hennie Raché: 'Liebe. Roman'. G. Müller-Mann’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1901, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebe_(Hennie_Rach%C3%A9).djvu/17&oldid=- (Version vom 25.10.2016)