Lea antwortete nicht mehr. Ihre Lippen blieben fest geschlossen und kein Muskel in ihrem Gesicht verriet, was in ihrem Innern vorging.
„So antworte mir doch! antworte!“ schrie er.
Da löste sich ihre Starrheit.
„Du willst einen Beweis meiner Liebe ... gut, Du sollst ihn haben. Aber geh jetzt, lass mich allein!“
Sie verliess das Zimmer und er lief hinaus in die Nacht.
Die ganze Nacht kehrte er nicht nach Hause zurück. Wie ein Verrückter lief er in den Strassen umher.
Die kühle Luft that ihm wohl. Sie beruhigte sein erhitztes Gehirn etwas, und sein Herz schlug weniger heftig.
Und so ganz, ganz allmählich kam das Nachdenken, und da bemächtigte sich seiner die Reue.
Wie, wenn er Lea unrecht gethan hätte, wenn sie ganz schuldlos wäre?
Aber, fragte der Zweifel wieder, warum wollte sie denn nichts von einem Arzt wissen, – warum scheute sie sich davor?
O, o, einen Ausweg aus diesem Gedankenwirrsal!
Hennie Raché: 'Liebe. Roman'. G. Müller-Mann’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1901, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebe_(Hennie_Rach%C3%A9).djvu/117&oldid=- (Version vom 10.11.2016)