beiden Elemente sich in inniger Durchdringung verbinden, Bildung entsteht? Bildung: die Gestaltung des Menschen zu einem Kunstwerk, denn ihr ist als Form das Ästhetische, als Gegenständliches das Wissen und als Gefühlsgehalt das Sittliche zu eigen. In einem wie hohen, Alles zusammenfassenden Sinne tritt uns nun im Hinblick auf edelste geistige und seelische Aufgaben die Verbindung von Kunst und Sittlichkeit vor Augen!
Es kann nicht anders sein, als daß in seiner Sorge für Bildung der Staat eingreift, wenn diese Verbindung gefährdet wird! Solange die Allgemeinheit nicht eingreift, liegt es doch ihm ob, mit seinen Mitteln überhand nehmenden Gefahren zu wehren. Aber das ist nur ein Nothbehelf — das Wollen muß vom ganzen Volke selbst ausgehen. Nur hierin beruht die Gewähr einer Änderung, nur hierdurch werden die staatlichen Maßregeln überflüssig. Und nun, nachdem wir so lange in das Dunkel geschaut, sucht unser Blick das Licht. Hoffen und Glauben erwächst uns in jedem Augenblicke, in dem wir ein inneres Streben, das durch das Tagesgetriebe hindurch sehnend auf Höheres sich richtet, in uns und Anderen gewahren. Im Geiste solchen Strebens heißt es alle die unsittlichen Dinge abweisen. Man kaufe die frivolen illustrierten Blätter nicht, man gehe nicht in die Theater, in denen perverse Stücke aufgeführt werden, man lese die verführerischen Bücher nicht, man wende sich von schamlosen Bildern ab. Man thue beständig Alles, daß der verheerende Einfluß solcher vorgeblichen Kunst auf die niederen Stände, daß dies Treiben in der Öffentlichkeit ein Ende finde. An jene Künstler aber richtet sich der Ruf: seid
Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/41&oldid=- (Version vom 1.8.2018)