welchen Standes immer, als Buhldirne, der Mann als Lüstling. Gerade dies ist es ja, was sich heutzutage schamlos breit macht. Ich brauche, wie ich schon früher sagte, auf das Einzelne nicht einzugehen: Jeder kennt es. Ja, es im Besonderen zu erörtern und zu schildern, widerstrebt mir. Denn wer sich damit befaßt, besudelt sich.
Man werfe mir nicht ein, daß ich trotz meines soeben abgelegten Bekenntnisses das Gebiet des künstlerisch Zulässigen zu eng begrenze! Daß auch das Animalische im Menschen wohl künstlerisch zu gestalten sei! Die Griechen, die Holländer — um nur zwei Beispiele bekannter Art zu nennen — hätten es gezeigt! Ja gewiß! Aber wie?! Indem sie den Widerspruch zwischen dem Thierischen und dem Geistigen im Menschen durch den Humor, welcher den Widerwillen besiegt, hervorhoben, und indem sie das Gegenständliche, in besonderer Weise wählend und erfindend, bestimmten. Die ganze Genialität der Griechen offenbart sich uns mit einem Schlage, beachten wir, wie sie — den Menschen gleichsam rettend — Phantasiegestalten, thiermenschliche Mischwesen: die Faune, die Satyrn, die Kentauren erschufen, in denen sie jenen Widerspruch mit überlegener Heiterkeit zum möglichen Gegenstand der Kunst machten. Und die Holländer wählten den primitiven Menschen, den Bauer, in seinem derbnatürlichen Dasein. Gerade hier, so sagte ich schon, gewahrt man, was Kunst ist und welche Relation zwischen Stoff und Auffassung besteht.
Wie ganz anders jene moderne Kunst, die den geistigen Menschen prostituiert — das ist ekelerregend, da hat der Humor sein Recht verloren. Selbst so flüchtige
Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)