gespendet worden ist, unmöglich zu werden droht. Allem diesem gegenüber wird nun erklärend, entschuldigend, ja verherrlichend, namentlich seitens der Jüngeren, von den Umwälzungen gesprochen, welche sich kulturell und sozial vor unseren Augen vollziehen. Sicherlich sind diese nicht zu verkennen, aber wie wir sie aufzufassen haben, das ist die Frage. Von Jenen werden sie mit überschwenglichen Hoffnungen als Beginn einer neuen Ära gefeiert. Sie lassen sich aber auch ganz anders betrachten, nämlich als ein Aufgeben des Besten und Größten, als der Beginn des Unterganges der germanischen Kultur.
In einer solchen Zeit — wie wäre es anders denkbar! — muß auch die Kunst in den großen Wirbel mit hineingezogen, muß sie Ausdruck und Symptom der gekennzeichneten Tendenzen werden. Immer bleibt es aber, dies Alles erwogen, noch zu erklären, wie gerade das Niedrige und Schamlose sich in der Öffentlichkeit so ausbreiten konnte. Es erklärt sich zunächst daraus, daß wir Deutsche uns selbst untreu geworden sind, denn was uns Derartiges in der bildenden Kunst und in der Dichtung abstoßend entgegentritt, hat mit dem deutschen Wesen gar nichts zu thun. Es ist aus einer fremden Welt eingedrungen: das Land, in dem es groß geworden und aus dem es auf sehr verschiedenen Wegen zu uns gelangte, ist Frankreich. Viel Gutes und Schönes haben wir von dort erhalten. Unsere Kunst hat in entscheidenden Momenten Förderung durch die französische erlangt: das wollen wir mit Dankbarkeit anerkennen. Es kam aber der Augenblick, da auch das Verderbliche, das wir in früheren Zeiten als etwas Verachtungswürdiges
Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)